ZERSTÖREN

Film burn texture (c) Dustin Schmieding, unterlegt mit dem Emblem der Haager Konvention von 1954 zur Kennzeichnung von geschütztem Kulturgut
Sonntag, 25. September 2016 - 11:00 bis Freitag, 18. November 2016 - 23:00
[esc] medien kunst labor
  • Ausstellung

Man kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass unsere heutige Zeit die Ansammlung aller Dystopien der vergangenen 50 Jahre darstellt. Alles, was Orwell, Lem, Harryhausen, Gibson u.a. beschrieben haben, ist eingetroffen oder wird an Negativem sogar übertroffen. Ängste und Ohnmachtsgefühle werden bewusst geschürt, politische und ökonomische Autoritäten machen sich Terror, Flüchtlingskrise und die damit verbundene Unsicherheit zunutze, um effizientere Überwachung, vermehrte Waffenproduktion und dergleichen zu forcieren und gewinnbringende Geschäfte zu machen. Demokratien wandeln sich zunehmend in totalitäre Staaten und Kritik scheint angesichts alles überschattendem ökonomischen Druck zu verstummen.

 

Kritiker wie George Orwell meldeten sich bereits in den 1940ern zu Wort, und warnten vor Entwicklungen wie „Totalitarismus und emotionalem Nationalismus” und der „Tendenz, objektive Wahrheiten nicht mehr als solche zu akzeptieren, wenn sie nicht ins eigene Weltbild passten”. In einem Briefwechsel 1944 beschreibt er die sich abzeichnende Politik nach dem 2.Weltkrieg, die bereit sein würde, nach dem Prinzip, der Zweck heilige die Mittel, zu handeln. „Scheinbar gibt es eine weltweite Tendenz zur Zentralisierung von Wirtschaft, die auf wirtschaftlicher Ebene „funktioniert”,die aber nicht demokratisch organisiert ist und zur Einführung eines Kastensystems tendiert. (…) Wenn man einfach nur proklamiert, dass alles nur zu unseren Besten ist und die unheilvollen Symptome nicht benennt, trägt man dazu bei, dass Totalitarismus wächst.” Autoritärer Staat, autoritäres Denken und Verhalten, alternativloser Sachzwang – das sind nur einige Schlagworte, die von Totalitarismus und Zerstörung von Selbstbestimmung und Privatsphäre zeugen.

 

Die Werke Babel (maschen - Korinna Lindinger und Julia Rosenberger) und Artikel Zwölf (k²- Korinna Lindinger und Karla Spiluttini) thematisieren diese Aspekte und beschäftigen sich mit Ambivalenz von Strukturen und oppressiven Systemen. „Wenn unsere Meinungsäußerungsfreiheit vollständig vom Staat bestimmt wird, das heisst, wenn wir nur in der Lage sind, das zu tun und zu sagen, was der Staat bereits als akzeptabel eingestuft hat, dann ist unsere Meinungsfreiheit nicht mehr als ein Instrument der Staatsgewalt.” führt Judith Butler in einem Gespräch 2015 aus und fordert dazu auf, „Formen des Dissenz, sogar Formen von Revolution” zu entwickeln und meint mit Bezug auf die feministische Kunsttheoretikerin Rosi Braidotti, „wir müssen eine großzügigere Vorstellung des Möglichen entwickeln”. Also die Zer/Störung eingefahrener Systeme, Strukturen, zu denen Menschen in Ambilvalenz existieren, weil sie gleichermaßen unterstützen und unterdrücken.

 

In diese Kategorie von Zer/Störung gehören Adelheid (maschen - Korinna Lindinger und Julia Rosenberger) und One Step Revolution (Mz* Baltazar’s Laboratory - Stefanie Wuschitz). Ausdrucksfreiheit, Zerstörung des Korsetts von Genderrollen, Vereinfachung von politischen Bündnissen stehen in ihren Arbeiten im Zentrum. In dieser Weise kann auch die Rauminszenierung Säulen interpretiert werden.

 

Die Undurchschaubarkeit, Unüberschaubarkeit und Unkenntnis über die Funktionsweisen der uns umgebenden, mittlerweile praktisch allmächtigen Technologien thematisiert Feminist Servers of the Internet (/etc & Miss Despoinas - Nancy Mauro-Flude) in gleichermaßen ironischer wie technisch versierter Weise und konfrontiert uns mit einer Provokation zum Thema Privatsphäre: der Toilette.

 

Mit dem Prinzip der Uncertainty, der Ungewissheit, begegnen die Arbeiten This Strange Feeling Of A Corrected Uncertainty Margin (Mz* Baltazar’s Laboratory - Lale Rodgarkia-Dara) und Fühler (Mz* Baltazar’s Laboratory - Stefanie Wuschitz) der scheinbaren Unfehlbarkeit von Wissen und Wissenschaft. Sie zerstören die Gewissheit über die uns umgebende Wirklichkeit und scheinen sich dabei auch auf Richard Feynman zu beziehen, wenn er über das Erleben von Zweifel und Ungewissheit spricht. „Ich kann mit Zweifel leben, und mit Ungewissheit und damit, etwas nicht zu wissen. Ich denke, es ist viel interessanter, zu leben und nicht zu wissen als Antworten zu haben, die möglicherweise falsch sind. Ich habe ungefähre Antworten und mögliche Überzeugungen, und verschiedene Abstufungen von Gewissheit über verschiedene Dinge, aber ich bin mir keiner einzigen Sache wirklich sicher, und über viele Dinge weiss ich gar nichts. Aber ich muss die Antwort auch nicht kennen, mir macht es keine Angst, Dinge nicht zu wissen, in diesem mysteriösen Universum ohne Sinn verloren zu sein, was es ist, soweit ich das sagen kann. Es ängstigt mich nicht.“ In diesem Sinne setzen sich die Künstlerinnen der andauernden Anzweiflung von gefestigtem Wissen aus.

 

Ein anderer Versuch, seines Lebens und seiner Umgebung habhaft zu werden, sind Messungen. Maria Popova beschreibt, dass unser Leben aus dem besteht, „was wir messen, beobachten, aufzeichnen und betreuen. Die Qualität unserer Aufmerksamkeit auf das Gemessene und die Art ihrer aufgezeichneten Darstellung sind zur Informationsinfrastruktur unserer Wirklichkeit geworden.” The Wishing Machine Project (Mz* Baltazar’s Laboratory - Patricia J. Reis) beschäftigt sich mit diesem Messbaren und nutzt das Konzept der Orgonenergie, einem von Wilhelm Reich beschriebenen und geschaffenen Raum, der den gültigen Kanon über vorhandene Energie sprengt. Wie Joan Semmel im September 2016 in einem Interview auf Hyperallergic meinte, „To be (a) feminist means to break the canon.”

 

Ausgehend von der Annahme, dass man als Einzelperson wenig gegen dystopische Zustände und Entwicklungen ausrichten kann, sich aber immer wieder Kollektive, Gruppen, Kollaborationen bilden, um Partizipation, Einfluss und persönliche Souveränität (zurück) zu erobern, hat das esc medien kunst labor KünstlerInnen-Kollektive aus verschiedenen Disziplinen eingeladen, gemeinsam am Projekt ZERSTÖREN zu arbeiten.

 

Workshops mit Bangiebangs and Lisa P. in Kooperation miz Mz* Baltazar’s Laboratory:

 

Safe Use – ein Kondom für Social Media, Donnerstag, 13.10.2016, 18:00 - 21:00

Tor los – feministische Perspektiven innerhalb der Zwiebel, Freitag, 14.10.2016, 18:00 - 21:00

(Anmeldung unter esc@mur.at, bis 10.10.2016, Teilnahme kostenlos)

 

Feminist Server Gettogether Exchange Meeting: Dienstag, 8.11.2016, ab 18:00

 

In Kooperation mit

steirischer herbst 2016

kunst@werk

ORF musikprotokoll 2016

Zum Projekt: 

KünstlerInnen: 

Werke: 

  • Foto: Alexandra Gschiel, © esc medien kunst labor
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