Lücken im urbanen Raum II

Fortsetzung der Forschungsreihe - Grazer Gstettn

Laufzeit: 

10/12/2013
Grazer Gstettn

Forschungen über Zeit in der Stadt, untersucht an Gstettn in Graz

Die Gstettn ist per Definition ein ungepflegter Naturraum in der Stadt. Sie hat etwas Randständiges, Ungepflegtes, Fremdes und Gefährliches an sich. Im Gegensatz dazu stehen ihr gegenüber die Park- und Grünanlagen der Stadt, als durchgeplante, saubere und übersichtliche Naturräume für das freizeitliche Vergnügen. Sie sind Teil des Plangebietes Stadt, in dem jede Fläche über Flächenwidmung mit einer Nutzung belegt und eingeordnet wird. Die Gstettn hingegen ist wie andere Brachen, periphere Räume und Gebäuderuinen Teil des Randgebietes einer Stadt. Plan- und Randgebiet bilden ein Gegensatzpaar im Stadtraum: "Um ´Plan´ assoziiert sich Staat, Öffentlichkeit, Kontrolle, Ordnung, Übersicht und Fixierung, um ´Rand´ Machtgefälle, Ungleichheit, Armut, aber auch Spontaneität, Freiraum und Beweglichkeit." Bei der Entstehung der Stadt (der Polis) trennte man sich klar von der Natur ab und es bildete sich das Gegensatzpaar von der Stadt als Plangebiet (dem Kulturraum) und dem Randgebiet als die “gefährliche” Natur und dem "verarmten" Vorstadtgebiet. Mit dem Fall der Stadtmauer und dem Wachstum der Städte in die Peripherie verwob sich das Plan- mit dem Randgebiet. Besonders mit der Industrialisierung und der Zersiedelung entstanden immer mehr Lücken und Brachen zwischen den Fabriken, Gewerbebetrieben und dem Wohnraum in der Stadt. Heute sind die Randgebiete nicht nur in der Peripherie, sondern auch in den Innenstädten ein Teil des Stadtraumes geworden.

Die Gstettn ist ein Zeuge für den schnellen Wandel und den Transformations-prozess des Stadtraumes von einem Plangebiet zum Randgebiet und wieder zurück. Sie bildet nicht nur einen Übergangsraum zwischen einer ehemaligen Nutzung und einer, teils noch ungewissen, neuen Nutzung, sondern ist auch Teil kultureller und sozialer Transformationsprozesse der Plan- und Randgebiete im Stadtraum. (aus: Gstettn zwischen Plan- und Randgebiet. Nutzung und Gebrauch eines unnützen Stadtraums. Eva Maria Hierzer, “Es gibt aber den Anfang nicht und es gibt das Ende nicht, es gibt auch nicht diese Definition einer Gstettn nach dem Motto: Eine Gstettn ist: Abstrakt ist es ganz klar: Solange du mich nicht fragst, weiss ich, was es ist.” aus einem Arbeitsgespräch im Dezember 2011, Nicole Pruckermayr, Brigitte Kratzwald, Walther Moser, Reni Hofmüller

Gstettn ist das Gegenteil gestalteter Plätze/Räume innerhalb einer geplanten Stadt, aber “nicht designed” wäre Natur. Was also ist der Unterschied? Gstettn ist unbeabsichtigt, Natur ist nicht unbeabsichtigt. Was auf einer Gstettn geschieht, mag unbeabsichtigt sein, der Platz selbst kann so gewollt sein.

Wünsche, Leerstellen und Möglichkeitsräume

Es scheint so zu sein, als wären Gstettn ein guter Treffpunkt, wo viele Interessen zusammenkommen, sich überlappen. Ein Thema, ein Ort, sowohl realer als auch vorgestellter -  was ist Stadt, Urbanität, es geht um Platz, was ist Gestaltung, was ist frei, oder wild, viele Aspekte, von denen aus die beteiligten Personen forschen, in Listen, in Überblicken, in Annäherungen. Listen, das Auflisten, der Versuch, über Listen der Dinge habhaft zu werden, sie greifbar zu machen, sich einen Überblick zu verschaffen. Historische Dinge, die man findet, die Zukunftsperspektiven zeigen. Makroaufnahmen und Mikroaufnahmen, Suche über die flanierende Annäherung genauso wie über das Hineinzoomen in Googlemaps und digitale Stadtpläne, wo das Erforschen sich vom Arbeitstisch aus erledigen lässt. Jede Person bringt einen eigenen Forschungsstil mit und teilt diesen mit den anderen Personen. Dieser interessante Gemeinschaftsfaktor zeigt sich auch in der Mischung von den beteiligten Personen und deren Beiträgen.

Nicht nur in Graz leben wir in einer durchgestalteten Umgebung: Rationalismus, Regeln, Anweisungen, Regulierungen, Standards, um eine komplexe Welt am Laufen zu halten. Andererseits haben wir romantische Bedürfnisse nach dem Nicht-Geordneten – der Gstettn.

Im Frühjahr 2012 konnte die Publikation “Lücken im urbanen Raum” realisiert werden. Nun wollen wir an den vorhandenen Stellen andocken. Das Arbeitsteam setzt sich aus 15 Künstler*innen, Natur- und Geisteswissenschafter*innen und Expert*Innen aus Städteplanung/Architektur und Ökonomie zusammen. Für die Austellung und die Publikation 2012 haben sie folgende Tätigkeiten beigetragen.

  • Ursula Brosch, Botanikern und Kunsthistorikerin: Pflanzenanalyse, Erstellung eines Herbariums, Charakterisierung einzelner Gstettn, Pflanzenglossar, Kernteam
  • Magdalena Verena Felice, Kunsthistorikerin: Textbeitrag
  • Heimo Halbrainer, Zeithistoriker: Textbeitrag
  • Eva Maria Hierzer, Stadtforscherin und Architektin: Textbeitrag
  • Reni Hofmüller, Künstlerin und Projektleiterin, Schülerinnenprojekt mit der HLW Schrödinger, Gstettnportraits, Textbeiträge, Fotos, Gstettngespräch, Kernteam
  • Brigitte Kratzwald, Sozialwissenschaftlerin und Commons-Aktivistin: Textbeitrag, Gstettngespräch
  • Verena Kuni, Medientheoretikerin: Textbeitrag
  • Renate Mihatsch, Künstlerin: Fotos, Gestaltung der Publikation, Kernteam
  • Walther Moser: Notizen, Skizzen, Gstettngespräch
  • Nicole Pruckermayr, Künstlerin und Assistentin an der TU Graz am Institut für Zeitgenössische Kunst: Gstettnportraits, Kunstprojekte im Öffentlichen Raum von Studierenden, Bachblütenzeichnung, Textbeiträge, Fotos, Gstettngespräch, Kernteam
  • Wolfgang Reinisch, Architekt: Fotos, Textbeitrag, Gstettnportraits, Kernteam
  • Karin Reisinger, Raum- und Architekturforscherin: Textbeitrag
  • Helene Thümmel, Künstlerin: Fotos, Gstettnportraits, Zeichnungen, Kernteam
  • Margit Zötsch, Biologin, Spezialistin für Wildkräuter und- gemüse: Rezepte

“Die wirkliche Produktivität, das, wo etwas wachsen/gedeihen kann, ist dort, wo die Marktwirtschaft nicht hinkommt, in den Nischen.” Brigitte Kratzwald

Arbeitsprozess

Die verschiedenen Analyseverfahren werden diskutiert, miteinander verbunden, fallweise für eine Forschungsfrage ausgesucht. Dabei ist die Temporalität, die Flüchtigkeit der Gstettn reizvoll, aber auch herausfordernd, weil während der Recherchephasen einige der flüchtigen Flächen bereits wieder einer bestimmten und benennbaren Nutzung zugeführt werden. Die Materialbeschaffungsphase wurde im Winter 2011/2012 abgeschlossen, die Umsetzung erfolgte 2012 in mehreren Schritten.

Ergebnisse/Programm/Form der Umsetzung

Installation, Publikation, Gstettntouren und Workshops
Aus der bisherigen Forschungstätigkeit hat sich eine große Menge an Material angesammelt.

Die Installation besteht aus sich ineinander verwebenden Materialien:

  • Ergebnisse aus Stadterforschung
  • Klanginstallation
  • Workshopserien (Moss Grafity, flüchtige künstlerische Interventionen im Stadtraum)
  • Gstettntouren
  • Seminare zu Inhaltstoffen von (essbaren) Wildpflanzen

Workshops, Gstettntouren

Zusätzlich zu den schon involvierten Personen sollen die Kulturtheoretikerinnen Irene Nierhaus und Elke Krasny eingeladen werden, eine Debatte zu den “Urbanografischen Figuren zu Stadt und Natur” mit den Beteiligten in Graz zu führen und mit den StadtforscherInnen eine weitere Ebene der Reflexion einzuleiten.

In als Workshops strukturierten Stadterkundungen werden die BesucherInnen eingeladen, neben Architekturtheorie und Stadtentwicklung auch die Vielfalt der Wildpflanzen kennenzulernen und mit der Biologin Margit Zötsch und der Botanikerin Ursula Brosch praktische Aspekte der Pflanzenbestimmung zu erfahren. Die Wahrnehmung der Zeit in der Stadt.

Eine Verbindung mit den Methoden und der Praxis aus dem Porjekt Kollektives Mapping ist angedacht.