Transzendenz als Bindeglied

Auto_face/facing - Nonentity_art

Laufzeit: 

29/11/2006 bis 16/12/2006

Eröffnung: 

Samstag, 16. Dezember 2006 - 16:45

Mit Hilfe von Kunst können Begrenzungen unserer Wahrnehmung überschritten werden, die Trennung von der uns umgebenden Realität kann aufgehoben und subjektiv zugänglich gemacht werden. An Stelle eines einheitlichen Ganzen treten fraktale, sich selbst ähnliche Strukturen, Knoten, Felder - wie auch immer man die Schnittstellen zwischen subjektivem Empfinden und der Realität im Außen bezeichnen möchte. Bekannte und vertraute Realität ist nur eine von vielen Realitäten, Wirklichkeit wird konstruiert und nicht objektiv entdeckt. Aus unserer Wahrnehmung kann nicht auf das 'Ding-an-sich' geschlossen werden, da unsere eigene Existenz unsere Wahrnehmung mitbedingt. Der Mensch als operationell geschlossenes, autopoietisches System, das permanent seine eigene Weltkonstruktion erschafft. Was immer mittels Kunst transportiert wird, enthält auch Botschaft, und tritt an den Betrachtenden heran. Letztendlich ist die Reaktion von Außen für Kunstschaffende irrelevant. Sie sind eher Getriebene, die ihr Sein in Kunst umsetzen müssen. Nicht nur Botschaft als Intention, sondern Ausdruck des Selbst, und insofern Egomanie als Grundvoraussetzung für Kunstschaffende, ihre Ideen - für sie selbst befriedigend - zum Ausdruck bringen zu können. Das egomanische Verhalten von KünstlerInnen bezieht sich auf ihre Arbeitsweise, darauf, wie sie ihren Reflexionen Ausdruck verleihen, es heißt nicht, dass sie in ihrem eigenem künstlerischen Sein verhaftet sind. KünstlerInnen reagieren auf das Außen, Spannungsfelder entstehen dadurch, dass Augenscheinliches transformiert wird. Kunst geschieht, sobald die KünstlerInnen Objekte von Außen für ihre Zwecke vereinnahmt haben. Kunstschaffen muss so gesehen auch mit Megalomanie (Größenwahn) einher gehen. Der Begriff Wahn repräsentiert eine menschliche Überzeugung, die logisch inkonsistent ist oder wohl bestätigtem Wissen über die reale Welt widerspricht, und trotz gegenteiliger Belege aufrechterhalten wird. Also genau das, was künstlerisches Tun ausmacht. Größenwahn respektive die Sonderformen Sendungswahn, wahnhafte Erhöhung der eigenen Person, Welterneuerungs- und Omnipotenzwahn sind unabdingbare Eigenschaften von Kunstschaffenden. Die eigene Person muss erhöht werden, um Kunst zu schaffen, denn Botschaft will vermittelt werden, die Welt muss neu erschaffen werden. 

Stets gab es einen Drang, die medialen Grenzen zu erweitern. Egal, welches künstlerische Ausdrucksmittel gewählt wird, die Intention bleibt immer dieselbe, einer Idee, die noch während der Umsetzung Änderungen unterworfen wird, soll Form gegeben werden. Wie sich die Betrachtenden diese Idee letztendlich erschließen, ist nicht mehr Aufgabe eines Kunstschaffenden. Idee, Form und Inhalt der Werke sind nicht eindeutige Botschaft, sondern sie erschließen sich erst nach einem Reflexionsprozess, welcher wohl bei jedem Betrachtenden anders ausfallen wird. 

In nicht linearen Netzwerken wird die größte Wechselwirkung nicht durch die direkte Verbindung zweier Knoten erreicht, sondern durch mehrfache Rückkopplungsschleifen. (Buckminster Fuller) 

Kunst reagiert auf den Wandel kultureller Rahmenkonstellationen der Kategorien Raum, Kunst[werk] und Öffentlichkeit respektive Realität und kreiert neue Handlungs- und Diskursfelder. Insbesondere Medienkunst als sich ständig generierender, performativer Interaktionismus. Solch prozessbasierte Medienkunst bindet den Betrachtenden als aktiv gestaltenden Teil in die künstlerischen Arbeit ein. Die Prozesse können sozialer, technischer und/oder ästhetischer Natur sein. Medienkunst, die der Konzeptkunst näher als den gängigen Definitionen von Medienkunst ist. Die Voraussetzung für prozesshafte Kunst ist, dass unterschiedliche Sphären aufeinander treffen können. Trifft Kunst von Außen auf Kunst vor Ort, erwächst daraus mehr als eine neue Reflexionsebene. Es ist die ständige Auseinandersetzung mit lokalen Gegebenheiten und Einflüssen von Außen [creative impacts]. Es entstehen sich überschneidende, sich ständig verdichtende Felder, und der künstlerische Output ist dann nicht mehr nur die singuläre Arbeit von einzelnen KünstlerInnen, sondern ist auch quasi im Kollektiv erarbeitete Kunst. Künstlerischer Austausch ist ebenso sozialer Austausch, gefordert ist nicht nur der ens artis, sondern auch der ens sociale. 

Selbst wenn unsere Worte genau und unsere Gedanken richtig sind, Entsprechen sie doch nicht der Wahrheit. Wenn wir Sprache und Denken aufgeben, können wir über alles hinausgehen. Wer Sprache und Denken nicht zurücklassen kann, wie kann der den WEG verstehen? (Zen-Meister Sosan, 6. Jh. n. Chr.) 

Karma [Sanskrit] bedeutet Tat, Wirken und bezeichnet das sinnliche Begehren an die Erscheinungen der Welt [Gier, Hass, Ich-Sucht], die Taten, die dadurch entstehen und die Wirkungen von Handlungen und Gedanken in moralischer Hinsicht, insbesondere die Rückwirkungen auf die Akteure selbst. Es entspricht in etwa dem Kausalitätsprinzip. Höchstes Ziel des Buddhismus ist es, diesem Kreislauf zu entkommen, indem kein Karma mehr erzeugt wird \226 Handlungen hinterlassen dann keine Spuren mehr auf der Welt und somit ist der Eingang ins Nirwana erreicht. 

Analog kann der Weg eines/einer KünstlerIn verlaufen. Kunst bedeutet künstlerische Tat, künstlerisches Wirken und bezeichnet das sinnliche Begehren an Erscheinungen der Welt und ihre künstlerische Umsetzung. Extreme Emotionen wie etwa Gier, Hass und Egoismus, ebenso die daraus resultierenden Taten sowie die Kausalitäten von Handlungen und Gedanken werden zu jeder Zeit thematisiert.
Moralvorstellungen werden transportiert und vor allem reflektiert der/die KünstlerIn auf Rückwirkungen, die ihn/sie selbst betreffen. Die Umsetzung von rein Materiellem genügt zumeist nicht, denn Kunst bezieht sich auf alles Tun und Handeln. Erzeugt wird gute, schlechte respektive neutrale Kunst in dem Sinne, wie zuvor Denken an die Welt erfolgte. Gute wie schlechte Kunst bewirkt, dass der/die KünstlerIn meint, diese Kategorien endlos wiederholen zu müssen. Höchstes Ziel ist es, diesem Kreislauf zu entkommen, indem keine Kategorien mehr erzeugt werden, keine Spuren hinterlassen werden, und eine Einordnung unmöglich ist. Somit ist der Eingang in eine andere Kunstdimension erreicht. 

Nichtentität könnte man als nicht in sich geschlossenes Nonsystem ohne definierbaren Zustand bezeichnen. Nonentität ist allumfassend und kann nicht durch seine Attribute bestimmt werden. Sie kann nicht auf Abstraktionen reduziert und in keinen Formalismus gebracht werden. Nonentity_art ist somit die Loslösung von herkömmlichen Kunstkategorien. 

Indem der/die KünstlerIn diese überwindet, erschließt er/sie sich eine neue Dimension in seinem/ihrem Kunstschaffen. Nichts beschränkt die Kunst dann außer der Materialhaftigkeit der jeweiligen Objekte und dem begrenzten menschlichen geistigen Horizont.
Kunstwerke dieser Serie unterliegen natürlich dem Paradox, dass sie sehr wohl gemacht sind. Gemeint ist, dass ihr Inhalt respektive das, worauf sie sich beziehen, Kategorien des 'Nix Machen', des 'Nirwana' darstellen. So wird Tun, jedoch ohne Zweck, Handeln, jedoch ohne moralische Überlegungen gezeigt. Kein definierbares System ist zu erkennen. 

Ein vorhandenes Bild zu übermalen, ist eine Versenkung in das Bild, durch die jenes versinkt. Erst in der Negation, im Versinken unter einer neuen Farbschicht, wird das Bild wieder sprechend. (Arnulf Rainer) 

Bei Übermalungen werden als Ausgangspunkt Abbildungen von Menschen und Objekten herangezogen, die von anderen als abgeschlossen betrachtet werden. Die Auseinandersetzung mit eben diesen fremden Objekten und das, was darin gesehen wird, diese Interaktion von verschiedenen Botschaften wird analysiert, im selben Moment umgedeutet und einer anderen Bestimmung zugeführt. In sich - zumindest ihrer Intention nach - geschlossene Systeme, werden aufgebrochen, die vorhandenen Attribute verändert, bis eine Definition des Ausgangsobjektes nicht mehr möglich ist, die operative Geschlossenheit ad absurdum geführt. 

Überwiegen positive Rückkopplungen, kann ein offenes Netzwerk, ein Interface, einen Phasenübergang zu neuen Strukturen und Mustern vollziehen. (Vilèm Flusser) 

Interfaces stellen die Transformationsstellen dar, die Gates, die Frames, die Koordinationspunkte ähnlich den Synapsenverbindungen im menschlichen Gehirn, die interaktiven Kopplungen. Diese Datenflüsse können nicht auf das Ursache-Wirkungsprinzip reduziert werden, sondern schon allein das Vorhandensein von Interfaces bewirkt Rückwirkungen, Reflexionen, Distinktionen, Transformierungen/ Transformationen und die Initiation von Prozessen. Diese komplexen Strukturen können die primäre Funktion und somit auch die Natur von Interfaces verschleiern. Faktum ist jedoch, dass Interfaces jene Elemente sind, die die Kommunikation ermöglichen und in Gang halten, selbstverständlich auch innerhalb der unterschiedlichen Systeme, die miteinander kommunizieren, als Beispiel seien die Subroutinen eines Programms genannt. Jede weitere Bedeutung ist nur eine Obstruktion von Außen. 

Die höchsten Kommunikationspotentiale besitzen hyperorientierte Organisationen, die eine Synthese aus Netzwerken und hierarchischen Strukturen darstellen. (Vilèm Flusser) 

Beim 'Auto_face/facing' werden Datenflüsse in der Form von Grafik, Video und Audio dargestellt. Mittels eines magischen Quadrates tritt das 'Auto_face/facing' mit seiner Umwelt in Beziehung. Zunächst wird durch ein Programm, dem sogenannten Autophilosophen, kurz 'Auto_phil', auf eine eigens präparierte Textdatenbank zugegriffen. Diese beinhaltet durch freie Assoziation erzeugte Texte.
Das magischen Quadrat ist vom Prinzip her dynamisch. Es wurde in Pure Data beziehungsweise Gem programmiert, bietet somit die Möglichkeit einer Echtzeitverarbeitung der Daten. Die Funktionsweise des magischen Quadrates stellt sich folgendermaßen dar. Suchbegriffe (Worte) durchforsten das WWW. Im Internet zufällig Gefundenes, genauer, Teile davon \226 chunks - werden im magischen Quadrat sichtbar gemacht.
Es sind schnelle, komplexe, nicht lineare Informationsflüsse, die die Aufnahmekapazität beim Betrachtenden überschreiten, quasi zu einem Overload führen. Gleichzeitig wird das Quadrat als zitterndes, schwankendes, sich um die eigene Achse drehendes, und deshalb schwer fassbares Objekt wahrgenommen. Dies geschieht in Abhängigkeit von in den Suchbegriffen vorhandenen Signalen. Diese Signale wiederum steuern auch die audiovisuelle Wahrnehmung der BetrachterInnen. Während der 'Auto_phil' die interne Textdatenbank durchsucht, bleibt er per random an relevanten Kernbegriffen hängen, und durchsucht seine Umwelt (WWW und Computer intern) nach diesbezüglichen Informationen. Was jedoch als relevanter Treffer gewertet wird, hängt allein von den systeminternen Determinanten des 'Auto_face/facing' ab. Im Falle einer Installation haben die UserInnen die Möglichkeit, Suchbegriffe einzugeben und stoppen damit den Prozess des Autophilosophen. Nach einer gewissen Zeit beendet der Autophilosoph den vohergehenden Prozess. Im Falle der Performance steuert der/die AkteurIn diesen Vorgang. 

Die Signale, die Steuerdaten also, generierte das System intern und/oder extern und werden als Steuerdaten für die Modulparameter der Audio/Videokomposition verwendet. 

Die Module spiegeln in ihrer Beschaffenheit das Gesamtsystem wieder, sozusagen ein 'Mikroauto_face/facing'. Zusätzlich steuern die Signale die internen modularen Prozesse. Auch diese Abläufe werden grafisch dargestellt, also kann man hier von einer grafischen Notation sprechen. Überschritten wird dabei allerdings ihre herkömmliche Funktion. Grafische Notation erweiterte die Parameter der Notation in der Musik, indem zusätzlich oder anstelle der herkömmlichen Elemente der Notenschrift andere Symbole und Texte verwendet werden, um die Ausführung eines Musikstückes zu beschreiben. Erweitert wird das Repertoire der Interpretation. Beim Auto_face/facing hingegen steht die grafische Notation für sich, wird ihrer ursprünglichen Funktion beraubt. Sie ist nicht mehr der Ausgangspunkt einer Interpretation. Sie ist nicht mehr Partitur. Sie hat zwar die Eigenschaften einer grafischen Notation in sich, aber wird nicht mehr als solche beispielsweise von einem Orchester/InterpretIn gespielt. Sie kann nicht durch ihre Attribute bestimmt, nicht auf Abstraktionen reduziert und in keinen Formalismus gebracht werden. Indem keine Kategorie erzeugt wird und eine Einordnung unmöglich ist, ist kein eindeutig definierbares System zu erkennen. Die Begrenzungen herkömmlicher Kategorien werden außer Kraft gesetzt.
Sie wird so zur Nichtentität.

Die Bilder und Objekte von Nonentity_art und die elektronische Installation Auto_face/facing vereint ihre Intention, in einem ständigen Prozess ihre Kategorien zu überschreiten.