Turn Off the Pastic Tap

Fotografie von Benjamin Von Wong – #TurnOffThePlasticTab

Benjamin Von Wong entwickelt raumgreifende, z.T. ortsspezifische Installationen, die er in inszenierten Fotografien als Tableaux für poetische Szenerien nutzt. Im Mittelpunkt stehen dabei immer der Mensch und seine Beziehungen zur Natur. Fragen der Nachhaltigkeit oder der Zweck-Nutzen-Rationalität von ökonomischen Strukturen in globalen Kontexten bilden dabei für den Künstler inhaltliche Ausgangspunkte. Dabei bezeichnet Wong seine Projekte explizit als „Kampagnen“, mit denen der Künstler Aufmerksamkeit für bestimmte politisch-ökonomische Fragestellungen generieren will. Die Installationen entstehen in monatelangen, sehr aufwendigen Prozessen, die von Wong fotografisch dokumentiert werden. Die Sondierung und Auseinandersetzung mit dem für die Installation gewählten Material hat dabei eine besondere Bedeutung: Das Material entwickelt über seine spezifische Ästhetik die Referenzen und inhaltlichen Implikationen, mit denen wir uns in der Betrachtung der Werke auseinandersetzen sollen. Im esc medien kunst labor werden zwei „Kampagnen“ mit Video und Fotografien präsentiert: #TurnOffThePlasticTab (2022) und Where are your clothes born? / Fashion Tornado (2009).

Mit dem Projekt #TurnOffThePlasticTab reagierte Wong auf ein Abkommen für die Nutzung von Plastik. Es entstand die Installation Giant Plastic Tap, bestehend aus Plastikmüll gesammelt in Kibera, dem größten Slum in Afrika. In Zusammenarbeit mit NGOs und dem Support vieler freiwilliger Helfer:innen vor Ort konnte die über fünfzehn Meter hohe Installation realisiert werden. Auch der Ort der Installation spielte bei diesem Projekt eine besondere Rolle: Inszeniert wurde die Installation vor dem UN-Hauptgebäude in Nairobi, wo damals ein Kongress der UN zum weltweiten Umgang mit Plastik abgehalten wurde. Ziel des Künstlers war es insbesondere, nicht nur ein Bewusstsein bei den Verbraucher:innen zu schaffen, sondern auch bei den Produzent:innen und vor allem jenen, die in der politischen Position wären, etwas zu verändern. Jener politische Impetus wird in allen „Kampagnen“ des Künstlers deutlich: Nicht nur die/der Einzelne wird aufgefordert, ihr/sein Verhalten nachhaltiger zu gestalten, sondern die globalen politischen Akteur:innen werden angesprochen. Wie der Künstler zum Projekt schreibt: „Too much of the plastic conversation revolves around recycling and cleanups – but those only deal with the consequences, and not the root cause. The real solution and opportunity is getting plastic production back under control by making sure we #TurnOffThePlasticTap.“

Das Projekt Where are your clothes born? / Fashion Tornado entstand durch die künstlerische Auseinandersetzung mit der Fragestellung nach der Produktion, dem Verbrauch und dem Wegwerfen unserer Kleidung. Dabei befasste sich Wong insbesondere mit der Problematik von „fast fashion“ – also schnell und möglichst „billig“ produzierten, und schnell wieder weggeworfenen Kleidungsstücken. 2009, bei seinen Reisen in Kambodscha, entwickelte der Künstler das Konzept, weggeworfene Kleidung als Material  für Installationen zu nutzen. In einer schon länger leerstehenden Fabrikhalle, in der früher Kleidung produziert wurde, fand Wong einen Ort, um seine Installationen zu realisieren. In Zusammenarbeit mit Laura Francois und dem Unternehmen „Dorsu“, das eine nachhaltige Produktion von Kleidung fokussiert, wurde das Konzept von Where are your clothes born? / Fashion Tornado umgesetzt. So werden in unserer Wegwerfgesellschaft tausende Tonnen brandneue Kleidung weggeworfen – die anderswo auf dieser Welt als Müll inzwischen zu massiven Problemen führen. Zudem wollte der Künstler ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie viel Energie es kostet, ein einzelnes Shirt aus Baumwolle herzustellen (2700 Liter Wasser!). Für die Installation wurden zunächst hunderte Säcke voller Kleidung durchforstet und nach Farben sortiert. Danach wurden die Kleidungsstücke zum Teil zerlegt und neu als Material von verschiedenen Installationen arrangiert. So entstand beispielsweise ein meterhoher Wasserfall, der scheinbar aus den Wänden einer leerstehenden Fabrikhalle bricht, ein Baum bestehend aus Bambus und miteinander verknoteten Stoffsträngen oder eine organisch anmutende Struktur, die sich bis an die Decke einer alten Fabrik wie ein Tornado schwingt. Die Entstehungsprozesse der Installationen wurden von Beginn an fotografisch dokumentiert. Zudem entstanden zahlreiche inszenierte Fotografien mit den Installationen und Models, die sehr aufwendig in den Kostümen etc. produziert sind. Dabei rückt der Mensch zentral in das Blickfeld als Akteur der Inszenierungen. Wie der Künstler zum Projekt konstatierte: „This means that each piece of clothing we buy has a hidden environmental cost to the air that we breathe and the water that we drink.“

Mit dem Readymade (z.B. Marcel Duchamps Fountain von 1917) wurden alltägliche Gebrauchsgegenstände in den Kunstkontext überführt. Die konzeptuelle Ästhetisierung des alltäglichen Objektes in ein Kunstwerk, im Sinne seiner Dekonstruktion und/oder Dekontextualisierung und Neuzusammensetzung, ist eine seit der Moderne angewandte künstlerische Methode. Besondere Bedeutung erhielt dabei das Material des Objekts.  Wongs Materialwahl besteht aus vielen verschiedenen Elementen, die sich im Grunde genommen unter dem Begriff „Alltagsgegenstand“ subsumieren lassen. Die Wahl des Künstlers, für seine Installationen ausrangierte Kleidung, Plastik- oder Elektronikmüll etc. zu verwenden, offenbart eine signifikante konzeptuelle Bedeutung: Ein Spiel mit Assoziation soll stattfinden und darüber hinaus ein Bewusstsein erzeugt werden – ein Nachdenken über Materialität und Wertschätzung innerhalb der kapitalistischen Wegwerfgesellschaft soll aktiviert werden. Indem Wong Alltagsgegenstände, die weggeworfen wurden, nutzt, spielt er bewusst mit den sozialen und kulturellen Codierungen jener Materialien. Die Installationen des Künstlers werden durch ihre Materialität und spezifische Materialästhetik zu Widerständen gegen die Ideologie der Überflussgesellschaft. Der von Benjamin Buchloh aus der Medizin übernommene Begriff „Hypertrophie“ beschreibt das Wachstum von Organen mittels Synthese der einzelnen Zellen. Als „hypertrophisches Symbol der Konsumkultur“ beschreibt Buchloh bestimmte Werke des Künstlers Thomas Hirschhorn, die durch ihre einfache Materialität im Sinne von Alltagsgegenständen die Stadien Produktion – Gebrauch – und Wegwerfen der Ware als Abfall in einen Objektzustand, in einer Synthese vereinen. So könnten auch Wongs Installationen als „hypertrophische Symbole der Konsumkultur“ interpretiert werden: Produktion – Gebrauch – und Wegwerfen der Ware werden bei Wong nicht nur über das spezifische Material der Installationen thematisiert, sondern insbesondere durch die politische Aufmerksamkeit, die der Künstler über den verhandelten Inhalt entwickeln möchte. Im Sinne des heurigen Jahresprogramms des esc medien kunst labor widmet sich Wong sehr deutlich jener Wüste der Wirklichkeiten, indem er verborgene Mechanismen und Systeme hinter einem Produkt wie einem Shirt offenlegt. Das, was hier Wegwerfgesellschaft bedeutet, ist anderswo auf dieser Welt bereits massives Müllproblem oder klimatische Katastrophe. Womit uns Wong letztlich mit seinen Werken die „Matrix“ versucht offenzulegen, im Wissen darum, dass nur das Bewusstsein über die andere Wirklichkeit die eigene Wirklichkeit verändern könnte.

Für „Wüste der Wirklichkeiten“ entwickelte das esc medien kunst labor eine Installation mit Fotografien und Videos von Wong die die Ausstellung in den öffentlichen Raum erweitert. Dabei wurden zwei Sujets aus den fotografischen Werkserien zu den Projekten ausgewählt, Plastic Landfill und ⁄. Hergestellt aus Nylon-Vinyl umspannen die Fotografien von Wong den Kunstverein – im Ausstellungsraum werden die Dokumentationen der Projekte als Videos auf Bildschirmen präsentiert. Wong begegnet uns also bereits, wenn wir uns dem Kunstverein nähern – um die Installation vollständig zu erfassen, müssen wir um den Kunstverein wandern, „alles von mehreren Seiten betrachten“, um uns ein vollständiges Bild der Installation zu verschaffen. Wong schärft damit ein Bewusstsein in dem Moment, wo wir uns der Ausstellung räumlich und körperlich annähern – vielleicht auch, um in der Ausstellung bewusst die verhandelten Inhalte wahrzunehmen, wie im Text zur Ausstellung Morpheus aus Matrix zitiert wird: „Die Matrix ist die Welt, die über deine Augen gestülpt wurde, damit du blind für die Wahrheit bist.“
[MA Elisabeth Passath]

 

Quellennachweis:
https://kunsthallewien.at/ausstellung/tableaux-vivants/
https://turnofftheplastictap.com/
https://blog.vonwong.com/fastfashion/
Christina Braun, Thomas Hirschhorn: ein neues politisches Kunstverständnis?, München 2013, S. 45.