Während das Allgemeingültige, das Faktische und das Reale immer schwerer greifbar werden, werden das Illusionäre und Imaginäre hingegen leichter verfügbar – „Realität“ entmaterialisiert sich angesichts der Dominanz des Virtuellen. Und nicht zuletzt schaffen KI-Systeme neue Realitäten in einer materiell wirksamen Virtualität. Es läuft alles auf eine Umwelt hinaus, in der Regeln wirksam werden, wie sie lange nur für Spielewelten und -erzählungen charakteristisch waren und mittlerweile nicht nur politisch bedenkliche, sondern längst auch psychodynamische, heißt psychiatrisch relevante Folgen zeitigen.
Das Spektrum spannt sich von einem Verständnis von Spiel als Beispiel für die kreative Auseinandersetzung mit der Welt, darin der Homo ludens seine kulturellen und persönlichen Fähigkeiten entwickelt, über die Bedeutung des Ästhetischen und Spielerischen als Gegenpol zur instrumentellen Vernunft, wie etwa Marcuse den Begriff mit Freiheit assoziiert und damit politisch gedeutet hat, bis zu dem Spiel mit und um die Realität; von der Ausbeutung von Spiele spielenden Spielern bis hin zu jenen Formen von Propaganda, politischer Agitation, Manipulation und gezielter Desinformation, die, indem sie ihre Spiele mit der Realität treiben, sich diese sukzessive als Spieleumgebung anverwandeln (der Begriff Global Player erhält darin eine weitere Dimension). Ein anderes Themenfeld betrifft die Manipulation der Nutzer:innen aktueller Technologien, die vorgegebenen Spiel-Regeln der jeweiligen Produkte hinzunehmen und letztlich selbst zum Produkt, zum Spielball zu werden.
Johan Huizinga hat in seinem Buch Homo ludens Spiel als eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung definiert, „die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘“. Kunst, die immer (bis in die letzten Versuche ihrer Selbstauflösung hinein) pour l'art bleibt und außerhalb ihrer selbst wenig mehr als ästhetische Erkenntnis, allenfalls Spielarten des Vergnügens produziert, ist in ihrem Innersten dem Spiel verwandt. Kunst benötigt für ihre „immersiven“ Dramen einen realen Hintergrund, von dem sie sich abheben können. So gesehen steht sie in Konkurrenz zu einer Welt, die tendenziell eine Verwandlung in ein Kunstwerk vollzieht – primär dadurch, dass auf Kosten der Übereinkunft über das „Reale“ dienstbare Realitäten entstehen.
Aus dieser natürlichen Konkurrenzsituation beziehen künstlerische Positionen jene strukturellen Grundlagen, die sich die konkreten Hervorbringungen in der Rezeption als einen verbindlichen Denkansatz teilen. Der Hintergrund, dem sie ihre Sichtbarkeit (Relevanz, Zeitgenossenschaft) verdanken, ist impliziter Gegenstand ihrer Erscheinungsformen.
Kunst unter dem Gesichtspunkt des Spiels zu sehen, fordert dazu heraus, die Welt, auf die sie sich bezieht, unter denselben Gesichtspunkten zu betrachten.