MEIN KOERPER : MEINE MASCHINE
MEIN KÖRPER: MEINE MASCHINE unterstellt dem Begriff Maschine eine Genealogie, die über den Stand der Dinge hinausführt: Wenn Maschinen immer Artefakte des Menschen sind, dann sei auch der Mensch ein Artefakt. Zumindest ist er es einigen Vorzeichen nach, unter denen die Beobachtungen in der Alltagswelt ebenso stehen wie die Variationen über Extensionen des Körpers durch Maschinen in der Bedeutung von Metaphern (z.B. bei Deleuze und Guattari der „organlose Körper“ - oK, dem „Wunschmaschinen entspringen“) ebenso wie des Modus‚ in dem McLuhan sie beschrieben hat: Körperausweitungen durch Medien in einer mediatisierten, digitalisierten Umwelt.
Der Titel suggeriert ein symbiotisches Verhältnis, gar eine Fusion, erlaubt aber auch die Lesart einer Teilung, einer bloßen Aufzählung: (hier) mein Körper, (da) meine Maschine; Nähmaschine, Smartphone, Auto et cetera pp. Diese Lesart fokussiert den Körper, als dessen Extensionen Maschinen in Ruf gekommen sind, getrennt auch von der Metaphorik seiner Verbindungen, denn die wurde zuletzt von der Erfahrung des Körpers als Sitz von Einsamkeit, von Krankheit, von körperlichen Bedürfnissen, nicht minder relativiert, dazu haben die im Grunde geringfügigen Einschränkungen in zwei Jahren einer Pandemie gereicht. Hervorgetreten ist – und diskutiert wird (oft, als handle es sich um eine ebenso überraschende wie leidvolle Erkenntnis, eine Kränkung) – die Erfahrung des Menschen als soziales Wesen. Man wird an Vilem Flussers oft gegebenem Verweis erinnert, dass wir uns im anderen verwirklichen (der Einzelne in seinem Gegenüber), mit dem Unterschied zu Flussers oft technooptimistischen Vorstellungen, dass wir dafür aber der realen, körperlichen Nähe mehr als bloß der „Sozialen Medien“ bedürfen; eine Bedeutungsverschiebung erlebt ja auch, was viral geht.
Was vormals über dem Horizont an Möglichkeiten aufgetaucht ist und aus der Distanz vielfach spekulative Natur war, ist nach und nach näher gerückt, hat sich unterdessen als haltlos erwiesen oder in der einen oder anderen Form (z.B. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Konnektivität, Prothetik etc.) realisiert – in der Politik bzw. dem gesellschaftlichen Leben ebenso wie im wirtschaftlichen Handeln und in unserem täglichen Leben als Individuen.
Es hat – zumindest hat es momentan den Anschein – die Alltagswirklichkeit mehr denn je Eigenschaften eines Korrektivs. Anders als jeher enthält diese Wirklichkeit bereits als ein Reales, was lange Zeit primär Gegenstand der (philosophischen, soziologischen) Extrapolation, von Fiktionen war. Die biomedizinische Ingenieurwissenschaft rückt mit ihren konkreten Erzeugnissen kulturtheoretische Dispositive ins Licht, die sich lange dem Dunkel des lediglich Möglichen verdankt haben: In dem Maß, in dem der Cyborg sich verwirklicht, in der Medizin-Technik durch Stimm-, Arm- und Beinprothesen, Insulinpumpen und Herzschrittmacher u. dgl. [m.] Realität wird, in dem schwindet seine Bedeutung als Metapher. Die Technik selbst erinnert mehr und mehr an „Kunst“, etwa im Fall einer Hörprothese, die die Nervenzellen der Hörschnecke mit Licht stimuliert und so ein weitaus feineres Hörbild ermöglicht als mit elektrischen Impulsen; man hört Licht – die Technologie der Synästhesie gewissermaßen. Ein vom Herzen selbst betriebener Herzschrittmacher, diesem Konzept von chinesischen Forschern eignet die Poesie einer kinetischen Skulptur und eines Perpetuum mobiles (wenn es auch dem Energieerhaltungssatz darin entspricht, dass nur 10 von 190 Mikrowatt, die das Herz an Energie freisetzt, für die Stromimpulse benötigt, um das Herz im Takt zu halten).
Der Cyborg realisiert sich in Variationen prothetisch im Bereich der Medizin ebenso wie in sozialen Spielfeldern der Robotik (etwa der Altenpflege), in den transhumanistischen Fantasien von der Verbesserung des Menschen mittels technologischer Verfahren und der Verwandlung der AnhängerInnen der gegenwärtigen Quantified-Self-Bewegung in ein Interface zwischen Computer und der erweiterten Realität der datenverarbeitenden Industrien – aus Körperdaten werden Datenkörper. So hatte sich Donna Haraway ihren Cyborg vermutlich nicht vorgestellt. Ihrer Vorstellung nach ist „die Cyborg (…) eine überzeugte Anhängerin von Partialität, Ironie, Intimität und Perversität. Sie ist oppositionell, utopisch und ohne jede Unschuld.“
Und während die Vorstellung vom menschlichen Gehirn als Supercomputer in den vergangenen Jahren an Popularität gewonnen und damit überkommenen Ideen à la H.P. Moravec (Mind Children, 1990) Vorschub geleistet hat (Gehirne direkt mit dem Internet zu verbinden; die Erschaffung einer neuen Art Mensch, die über gesteigerte kognitive und/oder körperliche Fähigkeiten verfügt; der Download des Bewusstseins auf einen Computer), setzt sich ausgerechnet seitens der Neurowissenschaften eine Vorstellung vom Bewusstsein durch, in der körperliche Einflüsse auf unsere Psyche – von Chemikalien im Blut bis hin zu Bakterien im Darm – verstärkt eine Rolle spielen. So kollidieren post- und transhumanistische Fantasien mit Erkenntnissen der Kognitionsforschung von Informationsschleifenzwischen Körper und Gehirn, über die ein mit seiner Umwelt interagierender Körper kognitiv das Verhalten eines Menschen und sein Selbstbild mitbestimmt, heißt: dass der Körper sich als konstituierender Teil des Bewusstseins erweise.
Selbstoptimierungswahn, Prothetik und transhumanistische Vorstellungen sind in einer Entwicklungslinie denkbar. Zugleich enthalten ihre realen Ausformungen das Potenzial, ad absurdum zu führen, was in ihrem Kontext Blüten treibt. Könnte es sein, dass weit mehr als der nietzscheanische Übermensch, über den ja selbst in der Philosophie die Freude eher geteilt ist, ein ordinärer Boom, Hype, Trend, den inneren Schweinehund zu überwinden, dem futuristischen Bestreben nach Überwindung des Menschen sich als Motor erweist?
Das alles ist ja nicht nur eine Frage der Technikfolgenabschätzung, der Soziologie, Psychologie oder Philosophie, sondern auch eine Frage der Kunst, d. h. ihrer Sprache, in der sie mitredet, eine Frage ihrer Formalisierungen, in denen sie auch (über) sich selbst formuliert, über sich reflektiert.
Donna Haraway hat mit ihrer Cyborg in die gesellschaftspolitische Wirklichkeit ihrer Zeit (1985!; „die Politik des sozialistischen Feminismus eingeschlossen“) einen metaphorischen Körper eingeschrieben, der blasphemisch agiert. „Blasphemie“, so Haraway in ihrem Manifest, „war immer schon darauf angewiesen, die Dinge sehr ernst zu nehmen. (…) Blasphemie schützt uns vor der moralischen Mehrheit in den eigenen Reihen, ohne die Notwendigkeit von Solidarität preiszugeben.“ Vielleicht ist darin ja, übertragen auf die Kunst und die Hintergründe, aus denen sie ihre Erscheinungs- und Organisationsformen ableitet, der Ansatz ästhetischer Strategien zu suchen, die im Jahresprogramm 2022 exemplarisch Eingang finden – Kunst als blasphemischer Körper. Sowohl innerhalb ihrer eigenen Betriebssysteme ebenso als auch in den gesellschafts- und technopolitischen Wirklichkeiten.
Konzepte von Körpern, Wahrnehmungsweisen und Mythen des Körpers und damit nicht zuletzt Vorstellungen von Selbst und Gesellschaft unterliegen einem sozialen und historischen kulturellen Wandel. Wie bildet sich dieser Wandel ab? Welche Bilder, Vorstellungen, Übereinkünfte, Fantasien bildet er heraus? Wie spiegelt sich der menschliche Körper im Blick der Maschine wider; wie verbindlich sind solche Spiegelungen?