Out of Control

Eröffnung: 

Samstag, 27. September 2025 - 17:00

Laufzeit: 

27/09/2025 bis 14/11/2025

Termine: 

Eintritt: 

frei
esc-mkl_PamelaScorzin-Foto:martinGross

Giving people access to data most often leaves them feeling overwhelmed and disconnected, not empowered and poised for action. This is where art can make a difference. Art does not show people what to do yet engaging with a good work of art can connect you to your senses, body, and mind. It can make the world felt. And this felt feeling may spur thinking, engagement, and even action.” Olafur Eliasson

 

OUT OF CONTROL

 

Bevor wir mit einer dialogischen Führung gleich gemeinsam mit Ihnen und den anwesenden KünstlerInnen durch den zweiten Teil der Ausstellung Out of Control gehen, möchte ich gerne das zentrale Thema, das die beiden Kuratorinnen Reni Hofmüller und Ilse Weber in diesem Jahr hellsichtig für ihr Programm im esc medien kunst labor ausgewählt haben, für ein paar Gedanken aufgreifen, die sich um die Notwendigkeit von Kunst in Zeiten einer gefühlten Dauerkrise drehen. Denn Gegenwartskunst ist immer auch ein Zeitspiegel, in dem sich die Conditio humana und gesellschaftliche Zustände reflektieren. Gegenwärtig breitet sich für viele in Europa die gefühlte Angst aus, alles geräte irgendwie außer Kontrolle – politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich und technologisch. Wie kann oder sollte man diesem unheimlichen Unbehagen begegnen? Wie kann uns Kunst und Gestaltung dabei helfen?

Vielleicht zunächst einmal mit der Erkenntnis, dass die Künste nicht nur ästhetischer Ausdruck kultureller Prozesse sind, sondern oftmals doch auch eine treibende Kraft gesellschaftlicher, technologischer und wissenschaftlicher Erneuerung. Innovation kann als kreativer Prozess verstanden werden, der nicht nur klassische Problemlösungsstrategien umfasst und etwas Zuversicht in düsteren Zeiten verspricht. Ich meine auch, wer Angst hat, die Kontrolle zu verlieren, hat schon verloren. Denn wer an der Kontrolle festhält, verschenkt auch Freiheit – gerade auch im Kunst- und Kreativbereich. Viele Künstler:innen finden sich heute in diesem paradoxen Spannungsfeld zwischen angestrebter Freiheit und künstlerisch-gestalterischer Autonomie sowie neuen Abhängigkeiten und Kontrolle, die tief bis in ihre Werke und Produktionen hineinwirken. Wer plattformgestützte Digitaltechnologien oder Künstliche Intelligenz als Material und Medium für die Kunst diskutiert, muss auch über Macht und Kontrolle sprechen. Der Beziehungsstatus zwischen Künstler:innen und neuesten Technologien scheint daher gegenwärtig etwas ‚kompliziert‘: Programme und Algorithmen der großen Tech- Unternehmen, kostenpflichtige Accounts, externe Speicherclouds – all das erweitert und schränkt zugleich die digitale Gestaltungsfreiheit fundamental ein. Zudem sammeln diese neuen mächtigen „Werkzeuge“ automatisch ungeheure Mengen an Daten und verbrauchen noch enorme Ressourcen.

Die Ausstellung Out of Control ist jedoch kein wehmütiges Klagen über verlorene Autonomie und neue Abhängigkeiten, sondern vielmehr eine ästhetische Feier der kreativen Entfesselung und aufklärerischen Befreiung: Es geht heute eben nicht darum, mit Medienkunst sich passiv neuen Zwängen und Mächten zu unterwerfen, sondern durch Experiment und Reflexion kritische wie kreative Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.

 

Wir sind mit den beteiligten Künstler:innen daher weder pessimistisch noch resignativ, sondern resilient und vor allem offen wie neugierig und fragen uns: Was bedeutet es, in einer unübersichtlichen und unsicheren krisenhaften Welt mit Kunst und Gestaltung kreativ und nachhaltig zu wirken? Hilft es vielleicht, Kontrolle zu teilen, zu verteilen oder manchmal sogar ganz aufzugeben? Und wie kann uns kritische Medienkunst dabei nachhaltig helfen, in einer sich rasant technologisierenden Welt digitale Souveränität zu gewinnen? Auf der Ars Electronica 2025 hieß es daher, „ Im Kern geht es um die Fähigkeit eines Staates oder einer Organisation, seine bzw. ihre digitale Zukunft selbstbestimmt zu gestalten. Eine solche digitale Souveränität umfasst eine physische Ebene (Infrastruktur und Technologie), eine Code-Ebene (Standards, Regeln, Gestaltung) und eine Datenebene (Eigentum, Datenflüsse, Nutzung).“

 

Auf das scheinbare Außer-Kontrolle-Geraten-sein und die unbehagliche Polykrise unserer Zeit lässt sich auch mit einem gewissen Maß an Ambivalenztoleranz reagieren: d. h., mit der resilienten Fähigkeit, diffuse Unsicherheiten und gefühlte Bedrohungen sowie Kontrollverlustängste, aber auch die neuen Unwägbarkeiten und paradoxen Zwiespältigkeiten unserer Zeit seismografisch wahrzunehmen, sie analytisch aufzunehmen und kreativ umzuwandeln – nicht zuletzt, um am Ende emotional handlungsfähig wie auch innovativ und produktiv zu bleiben. Dies zeichnet gerade auch zeitgenössische Künstler:innen aus, die sich den neuesten Technologien wie etwa der Künstlichen Intelligenz offen-neugierig, kritisch-reflektierend und kreativ-experimentierend zuwenden.

Die rasante Entwicklung von generativer und multimodaler KI wird beispielsweise heute gerne als kreative Konkurrenz phantasiert – präfiguriert durch unzählige Inszenierungen in der Populärkultur und dem Blockbuster-Film, aber auch durch den Aufstieg malender und zeichnender Humanoiden in der Kunstwelt selbst. Gerät damit eine Domäne menschlicher Kreativität nun auch noch völlig außer Kontrolle?

Ambivalenztoleranz gegenüber einem gefühlten Kontrollverlust bezeichnet nun aber die besondere Fähigkeit, widersprüchliche Gefühle, Gedanken oder Ängste und Sorgen in einer Situation zu akzeptieren und konstruktiv wie kreativ damit umzugehen, ohne dass dies zu innerem Konflikt oder weiterem lähmenden Unbehagen führt. Menschen mit hoher Ambivalenztoleranz können Unsicherheiten, Mehrdeutigkeiten oder widersprüchliche Perspektiven aushalten, ohne sofort eine klare Lösung oder Entscheidung zu liefern. Sie sind vielmehr in der Lage, schwierige und komplexe Situationen differenziert und mehrdimensional zu betrachten und dabei multiple Sichtweisen gleichzeitig zu würdigen, was oft mit kritischem Denken, intellektueller Offenheit und kreativem Experimentieren einhergeht. Genau dies sind auch besondere Eigenschaften von Künstler:innen, die sich heute forschend und experimentierend mit den neuesten Technologien einem neuen, nicht mehr allein menschenzentrierten Kreativitätsbegriff hinwenden und vielmehr in diversen Netzwerken arbeiten und denken. In einer zunehmend komplexeren und polarisierten Welt gewinnt diese Fähigkeit an Bedeutung, da sie in der Gesellschaft dazu beiträgt, Konflikte zu entschärfen und differenzierte innovative Lösungen zu finden.

 

Künstler.innen sind dabei heute keine Genies mehr, sondern vielmehr Vorreiter:innen und Vorbilder, wenn es darum geht, etwa mit Künstlicher Intelligenz, kritisch und reflektiert umzugehen oder künstlerisch-forschend nach einem fairen, nachhaltigen und ethisch verantwortungsvollen Umgang zu suchen. KI ist dabei – wiederum recht ambivalent – ihr Tool, ihre Muse und ihre AssistentIn oder ihr Kollaborateur und ko-kreativer Partner. So, who’s afraid of AI? Ihre ko-kreativen und ko-laborativen Werke eröffnen zugleich weitere Fragen:

Was bedeutet es, etwas zu erschaffen, wenn die Kontrolle nicht mehr allein (im doppelten Sinne) in der Hand der einzelnen Kunstschaffenden liegt, sondern nunmehr über ein Netzwerk menschlicher, nicht-menschlicher und mehr-als-menschlicher Kollaborateure verteilt ist, die gemeinsam kreativ handeln oder nach Problemlösungen suchen? Ist dieser Verlust an einzelner Kontrolle eine Kapitulation oder gar eine Befreiung und Bereicherung? Eine Krise oder ein Katalysator? Oder doch nur Kreativität außer Kontrolle? Der programmatische Titel der Ausstellung Out of Control ist somit sowohl ein Denkanstoß als auch eine Provokation. Er verweist auf die doppelte Natur unseres vernetzten Zeitalters: das Versprechen kollektiver Intelligenz und die Gefahr unbeabsichtigter Folgen und unabsehbarer Risiken durch neue mehr-als-menschliche Akteure wie etwa die KI. In dem Maße, wie große Sprachmodelle, intelligente Algorithmen und dezentralisierte smarte Systeme weiter in den kreativen Prozess eindringen, stellen sie beispielsweise die traditionellen Vorstellungen von Urheber:innenschaft und Autor:innenschaft, Originalität und Bedeutung in Frage.

Gleichzeitig ermöglichen es neue Technologien wie KI nie dagewesene Formen der kreativen Zusammenarbeit – zwischen Menschen und Maschinen, zwischen weit entfernten Gemeinschaften und zwischen lebenden biologischen und quasi-lebenden synthetischen Entitäten zu erproben. Viele interaktive KI-Arbeiten laden daher auch die Betrachtenden dazu ein, zu kreativ Mitgestaltenden zu werden, ihre Rolle im komplexen Netzwerk der miteinander handelnden Akteur:innen stetig zu hinterfragen und neu zu definieren sowie sich mit der Handlungsfähigkeit und kreativen Eigensinnigkeit des Nicht- Menschlichen und Mehr-als- Menschlichen in unserer vielfältig vernetzten Umwelt auseinanderzusetzen. Von intelligenten Algorithmen, die sich über die Absichten ihrer Programmierer:innen und Entwickler:innen hinaus quasi autonom weiterentwickeln, bis hin zu Installationen und Skulpturen, die in Symbiose mit ihrer Umwelt oder lebenden Organismen weiter wachsen, zeigen Positionen aktueller Medienkunst, dass auch Kreativität immer ein dynamischer Prozess ist, der nie vollständig kontrolliert werden kann, aber immer generativ und vielleicht auch innovativ ist, ohne dass man vorher schon sein Ziel (er)kennen könnte. Kunst und Gestaltung braucht und schafft daher Freiräume für dynamisch-ergebnisoffenes Arbeiten und forschende Experimente – für erkenntnisreiche Überraschungen, die sinnlich vermittelt werden. Ja, komplexe Netzwerke aus menschlichen, mehr-als-menschlichen und nicht-menschlichen Akteur:innen können auf überraschende Weise durchaus schöpferisch und innovativ sein. Neue Tools, die in ihrer Wirkung mehr als nur Werkzeug sind – etwa multimodale KI-Modelle eingebettet in robotronische Einheiten – erinnern uns daran, dass Kreativität schon immer ein dialogischer Prozess zwischen Mensch und Material gewesen ist; heute nun ein kollaborativer und kooperativer Akt und ein symbiotisch-evolutionärer Prozess, der das rein Menschliche übersteigt.

Denken Sie etwa an das komplizierte Zusammenspiel vieler verschiedener Instrumente, das erst als Orchester mit einer/m Dirigenten:in emotional packende Musik aufführt! Mit dem Aufstieg und der Ausbreitung der neuen diversen Netzwerke mit ge- und verteilter Handlungsfähigkeit und Kreativität bleiben jedoch auch dringende Fragen: Wer oder was treibt den schöpferischen Prozess an?

Können wir etwa den technologischen Systemen, die wir in Gang gesetzt haben und als neue Ko-Kreateure verstehen, letztendlich vertrauen? Und was passiert, wenn die Ergebnisse unseren Erwartungen widersprechen – etwa nur Zufälliges und Generisches liefern, wie oftmals beim Prompten mit KI-Modellen?

Out of Control ist jedoch kein Wehklagen über verlorene Beherrschung oder Trauer über neue Zwiespälte, sondern eine affirmative Feier der kreativen Freiheit in der Gemeinschaft und die Akzeptanz des kreativen Potenzials eines diversen Netzwerks, das entsteht, wenn wir die Illusion der alleinigen wie totalen Kontrolle aufgeben. Sie fordert uns auf, das Unbekannte, Unerwartbare, Unvorhersehbare respektive Unverwertbare anzunehmen, darin Schönheit und Wissen zu entdecken, und nicht zuletzt, unseren Platz in einer komplexen Welt neu zu definieren, in der Kreativität nicht mehr nur uns Menschen allein zugeschrieben wird.

Wenn Sie sich durch die Ausstellung bewegen, sind Sie keine passiven Betrachtenden, sondern vielmehr ein Knotenpunkt in einem diversen Netzwerk aus unterschiedlichen, kreativ miteinander handelnden Agenten – aber auch aktive Teilnehmende an einem unabgeschlossenen kreativen Prozess, der sich immer erst entfaltet und dabei immer auch etwas außer Kontrolle gerät, weil er letztlich aus dem Kunstraum hinaus in die Welt entlassen werden soll. Wir sind daher nicht pessimistisch und resignativ, sondern resilient und vor allem offen und neugierig: Was bedeutet es, in einer Welt (künstlerisch- gestalterisch) zu schaffen, in der Kontrolle geteilt, verteilt und manchmal sogar vollständig aufgegeben wird? Wenn das nicht mal eine spannende und anregende Ausgangssituation für das weitere Denken und Handeln ist: ‚out of control!‘

Ich möchte nochmals resümieren, was Medienkunst heute in Zeiten der globalen Krisen und dem rasanten Wandel ausmacht: Sie umfasst eine kaum übersehbare Vielzahl von Medien, Stilen und Themen, welche die Komplexität einer globalisierten, sich schnell verändernden Welt widerspiegeln. Auch im Jahr 2025 setzt sie sich weiterhin mit technologischen Entwicklungen, Umweltkrisen und gesellschaftspolitischen Veränderungen kritisch und engagiert auseinander und dient daher nicht nur als kommensurables ästhetisches Artefakt, sondern gerade auch als dynamischer Impulsgeber für Bildung und Innovation. Ihre Rolle ist so vielfältig wie die Bereiche der Kunstwelt selbst, aber eine der Kernfunktionen der zeitgenössischen Kunst bleibt wohl immer noch ihre reflektierende, kritische und analysierende Fähigkeit, die als Spiegel für gesellschaftliche Werte, Normen und Veränderungen fungiert. Sie fängt kulturelle, technologische, politische und soziale Dynamiken ein und ermöglicht es den Betrachtenden, sich mit den Realitäten ihrer Zeit kritisch und reflexiv auseinanderzusetzen. In einer von Spaltung und Polarisierung geprägten Krisenzeit vermag die Kunst auch kulturelle und politische Gräben zu überbrücken und sinnlich anzuregen. Diese reflektierende Funktion erstreckt sich gerade auch auf die Selbstdarstellung, bei der KünstlerInnen persönliche und gemeinschaftliche Identitäten, etwa mithilfe von Avataren, kanalisieren und so ein tieferes Verständnis der menschlichen Vielfalt ermöglichen.

 

Eng damit verbunden ist ihre kritisch-analytische Funktion, bei der zeitgenössische Medienkunst etablierte Normen und Werte ständig in Frage stellt und dafür gesellschaftliche Veränderungen sowie mutige Erneuerungen anregt. Sie provoziert den Dialog über drängende Themen der Zeit, oft durch provokative Installationen oder Performances, die etwa Machtstrukturen und Monopole diskutiert. Der experimentierende Forschergeist der GegenwartskünstlerInnen vermag das Publikum dabei anzuregen, seine Wahrnehmung und Erfahrung zu erweitern und sich neu wie auf überraschende Weise immer wieder mit der Welt kritisch auseinanderzusetzen. Bildung und Innovation sind dabei eine weitere wichtige Funktion, um als Gesellschaft – etwa mit digitaler Souveränität – handlungsfähig zu bleiben.

Die Ästhetik der Kunst inspiriert heute auch zu einem breiteren gesellschaftlichen Wandel hin zu ethischen Praktiken. Viele der hier ausgestellten Arbeiten in Out of Control verknüpfen Reflexion, Kritik und Innovation miteinander, um den menschlichen Bedürfnissen inmitten globaler Herausforderungen und gegenwärtiger Kontrollverlustängste gerecht zu werden. Sie regt zum eigenen Denken an. Weit davon entfernt, nur eine Randerscheinung zu sein, bleibt sie eine wichtige gesellschaftliche Kraft für kulturelle Vitalität, persönliches Wachstum und kollektiven Fortschritt und passt sich dabei an mit ihrer Hinwendung zu neuen Technologien als ihr Medium und Material, um ihre dauerhafte Relevanz und gesellschaftliche Nachhaltigkeit zu unterstreichen. Wir laden Sie daher ein, die ausgestellte Medienkunst im esc medien kunst labor nicht nur zu betrachten, sondern sich zugleich auch als aktiven Knotenpunkt in einem neuen diversen Netzwerk zu verstehen, das eine Plattform für spannende Diskussionen ist. Treten Sie in den überraschenden Dialog mit den ausgestellten innovativen Digitalwerken und den Akteur:innen dahinter – den menschlichen, nicht-menschlichen und mehr-als- menschlichen.

Pamela C. Scorzin

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