Opportunity vs. Choice

"Man nimmt an, (...)
dass ohne die Kunst das Leben eine Einbusse erleiden würde;
das ist aber nebensächlich;
das Wesentliche ist, dass das Weltbild ohne die Kunst
unvollständig sein würde." (Konrad Fiedler)

opportunity vs choice

[...] welches Interesse war für den Künstler maßgebend, als er sein Werk gerade so bildete, wie es tatsächlich vorliegt? Produktionsästhetik bedeutet Konrad Fiedler also, die Spezifik des ästhetischen Gegenstandes nicht aus dessen formalen Gegebenheiten oder den Bedingungen seiner Wahrnehmung abzuleiten, sondern aus den Umständen seiner Produktion. (Weltzien)

Wie in den vorangegangenen Jahren ist auch für 2006 eine Kombination aus Ausstellungsprojekten und worklabs geplant, die auf Entwicklung und Vermittlung neuer Technologien und Strategien angelegt sind, mit daraus resultierenden Installationen und Kooperationen mit KünstlerInnen aus verschiedenen Bereichen der Medien- und Informationskunst.

Der Tradition der ESC folgend, werden zum einen die derzeit aktuellen Strömungen aufgespürt und gezeigt; gleichzeitig geht es auch um die kontinuierliche Beobachtung und Weiterentwicklungen von bereits existierenden Projekten. Der Intention der ESC entsprechend sollen künstlerische Arbeiten nicht nur über einen kurzen Zeitraum (Ausstellung) vermittelt werden, sondern über längere Zeitperioden mitverfolgt (produziert) und damit mögliche Veränderungen zugänglich gemacht (re/präsentiert) werden. Neben den physischen Räumlichkeiten der ESC dient dazu auch der von der ESC betriebene Kunstserver ice.mur.at als Zentrale zur kontinuierlichen Weiterarbeit an den Informationstechnologien.

Im Zentrum der Auseinandersetzung steht 2006 die Frage nach den Produktionsumständen von Kunst, und nach der Motivation zum einzelnen Projekt. Was bringt einen Künstler, eine Künstlerin dazu, eine bestimmte Fragestellung zu bearbeiten?

Es geht dabei weiterhin weniger darum, Identitätspolitiken einfach aufzugeben oder neue zu erfinden, sondern um den Versuch, sie zu erweitern und ihre möglichen Komplexitäten greifbarer zu machen. Weiterführungen wie [prologue]2 (Symposion, Magazin und Ausstellung) in der Co-Kuratierung mit Marina Grzinic im Mai gehören hier ebenso dazu wie die Adaptierung des Projektes 1-0-1 Intersex, ein in der NGBK Berlin entwickeltes Konzept, das in einer Auswahl der Berliner Arbeiten in Kombination mit österreichischen Werken gezeigt werden soll; Zeitpunkt Herbst/Winter 2006. In diesen Einzelprojekten geht es auch ganz zentral um Körperpolitiken und damit verbundene Formbarkeits- und Kontrollvorstellungen. Thematisch schliesst die ESC damit an das Programm vergangener Jahre an. Das zeigt sich zum einen in der Kontinuität der eingeladenen KünstlerInnen und TheoretikerInnen, zum anderen in der Fortführung von im vergangenenJahr eingeleiteten Kooperationen.

Weltzien beschreibt in seinem Beitrag zu Momente im Prozess ?(...) Kunst als eine Größe, die in einem Prozess von gewisser Dauer entsteht?. ?Historisch hat sich die Idee einer dynamischen Kunstauffassung, die die Werke der bildenen Kunst nicht als ewig unveränderlich gültige begreift, in einer Zeit herausgebildet, in der der Schaffensprozess selbst Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung geworden ist. Oder anders formuliert: Wenn die Theorie Kunst nicht als ein jähes Erscheinen in der Produktion ? Inspiration, Vision, Eingebung oder dergleichen ? begreift, sondern Kunst versteht als eine Größe, die fern aller Plötzlichkeit in einem Prozess von gewisser Dauer allmählich entsteht, dann antizipiert dies eine Haltung, die auch die Ansprüche von Ewigkeit und Überzeitlichkeit von Kunst generell in Frage stellt. Als Folge können Entwicklungslinien hin zur Valorisierung des Performativen und der Auflösung des Werkbegriffs verfolgt werden.? (S. 45)

Was bedeutet das, konsequent weitergedacht? Es bedeutet, dass das Ergebnis nicht absehbar ist, dass die Produktions-bedingungen angesichts der scheinbar noch einfacheren Zugänglichkeit zu technischen Mitteln durch die Entwicklungen im digitalen Bereich eine noch zentralere Rolle spielen. Denn zu diesen Produktionsbedingungen gehört auch das Umfeld der Diskussion, der Reflexion, der Auseinandersetzung und in Folge der geteilten Verantwortung. Diese Rolle einzunehmen und KünstlerInnen in ihren Produktionen zu (unter)stützen, ist der zentrale Unterschied eines nichtkommerziellen Raumes wie der ESC im labor gegenüber Veranstaltungs- und Repräsentationsräumen wie z.B. eienr kommerziellen Galerie oder einem Kunsthaus. Aus diesem Grund wird der Anteil der sogenannten Worklabs im Jahresprogramm der ESC immer zentraler. Diese Worklabs können sehr unterschiedliche Formen annehmen, weil sie in der Eigenverantwortung der KünstlerInnen selbst liegen.

Die ESC im labor als nichtkommerzieller Raum

Was sind die Charakteristika eines nichtkommerziellen Raumes? Was bedeutet nichtkommerzieller Raum? Nichtkommerzialität bezieht sich auf die Produktionsabsicht, also auf den Grund und die Motivation, eine Arbeit umzusetzten oder eine Arbeithypothese zu verfolgen, Es geht also um die künstlerische Arbeit und ihre Kontextualisierung. Im weitesten bedeutet das eine Form der künstlerischen Forschung oder Entwicklung. Dabei spielt das Endprodukt eine sekondäre, also zweitrangige Rolle. Das bedeutet nicht, dass ein dabei entstehendes Projekt eine Arbeit ohne Wert wäre. Es bedeutet, dass der Nachdenkprozess, also das Konzept und die Ausgangsüberlegungen Teil des Kunstwerks sind. Die offene Arbeitssituation und der Schwerpunkt auf den Ausgangsüberlegungen tragen die Möglichkeit der Veränderung in sich. Ein weiteres Charakteristikum von Nichtkommerzialität ist die Art der Verbindung zum Publikum. Die Rolle des Publikums ist in diesem Kontext zu verstehen als aktiver Teil. Es geht um eine Herausforderung, ein intensives Nachdenken über den Inhalt und die Form der künstlerischen Arbeit, weniger um ein Konsumieren oder die Konsumierbarkeit. Eine der Ausgangsbedingungen dafür ist eine funktionierende Infrastuktur, sowohl in bezug auf den pysischen Raum als auch in der technischen und künstlerischen Betreuung.

Nun scheint es so, als würden nichtkommerzieller und kommerzieller Raum ineinanderfallen, als würden sich die Unterschiede auflösen.

Diese Beobachtung fußt v.a. in der Wahrnehmung, dass die Form von nichttypischer Arbeitsbedingung, wie sie im Künstlerischen schon immer vorhanden war (das Gegenteil zum Bürojob von 9.00 ? 17.00), sich in viele, wenn nicht sogar alle Lebensbereiche ausgebreitet hat. Was früher den Anschein des Bohemien in sich trug, wird mittlerweile als Prekarisierung des Alltags bezeichnet.

Sabeth Buchmann
"Parallel zur Ineinanderfaltung von kommerziellen und nicht-kommerziellen Räumen, von "autonomer" Produktion und Dienstleistung, könnte man sagen, dass auch die Kategorie der Zeit flacher geworden ist: Die Erfahrung einer anderen Zeitlichkeit außerhalb oder am Rand des herrschenden Kreativitäts- und Produktionsangebots scheint unwahrscheinlicher geworden zu sein. Eine Weile war in kritischen Kunstdiskursen viel die Rede davon, dass die sog. Deregulierung von Jobs und Arbeitszeit den alten bohemistischen Traum von einer Zeitlichkeit jenseits bürokratischer Regulation verwirklicht hätte ? wenn auch auf schlechte Weise.

Ebenso wie das Thema "Arbeit" bzw. "Produktion" ein zentrales Thema des historischen Avantgarden undd er Neo- und Postavantgarden der sechziger und siebziger Jahre war, wurde und ist es in solchen künstlerischen Kontexten (wieder) virulent, die im Sinne dekonstruktiver, so vor allem feministischer und institutionskritischer Diskurse die Funktion und Veränderung von Kategorien wie Autorschaft, Werk, Subjektivität, Autonomie etc. zum Gegenstand haben." (S.18)

Eine der derzeit offenen Fragen ist also, ob es möglich ist, sich dieser Ökonomisierung, also Kommerzialisierung zu entziehen? die Bindung an das Objekt, das begreifbar scheint, und das ebenso so scheinbar einfach zu konsumieren ist.

Nach wie vor ist die Pragmatik des Verschwindens, die non-availability (Nicht-Verfügbarkeit) des künstlerischen Subjektes konträr zur Arbeitsweise kultureller Industrie und zu den noch immer weit verbreiteten ästhetischen Rezeptionsmustern der Visualität zu sehen. Die Verschwindenden KünstlerInnen deuten intensiv auf eine Kritik an den Werkzeugen der Kunstvermarktung hin, welche noch immer den individuellen Star konstruiert und mit einer marktfähigen Aura versieht.

Das Jahresmotto - die gedankliche Klammer für 2006 - stellt die Frage nach Präzisierung eines Unterschieds: Gelegenheit vs. Wahlmöglichkeit. Diesen Fragen widmet sich die ESC 2006.