Die Vorstellung von Kodieren/Dekodieren enthält häufig das Ideal einer perfekten Rekonstruktion. Dass etwas Reales—eine Erfahrung, ein Gedanke, eine Bewegung—in eine endliche Menge an Elementen überführt werden kann, welche dadurch transportierbar wird und schließlich wieder die ursprüngliche Erfahrung oder Bewegung hervorruft. Etwas wird kommuniziert (verdoppelt und gleichwertig). Es stört uns, wenn eine Rekonstruktion nicht vollkommen ist, wenn die Distanz zwischen den Paaren Begriffsbildung/Wahrnehmung, Intention/Interpretation. . . nicht aufgehoben wird: Jemand hat nicht verstanden.
Was uns für die Ausstellung interessiert sind diese Distanzen und Lücken, welche Unvollkommenheiten produzieren und Widerstände, die verhindern, dass Gedanken und Bewegungen einen Abschluß finden; Unvollkommenheiten im Sinne von andauernden und iterativen Konfigurationen. An der Schnittfläche von Computerkunst und Klangkunst verortet, interessieren wir uns in erster Linie für algorithmische Bewegungen. In algorithmischen Praktiken übernehmen Codefragmente die Produktion von Formen und eröffnen wechselseitige Schreibprozesse zwischen Mensch und Maschine.
Algorithmen wird zunehmend die Befugnis erteilt, Entscheidungen über unsere Leben zu fällen. Dystopische Szenarien gehen sogar so weit, die Menschheit als solche entbehrlich zu machen, wenn sogenannte künstliche Intelligenz in Zukunft unsere langsame biologische Evolution überholen wird. Aber jenseits des hergebrachten Verständnisses von Algorithmen als einer engen Verzahnung von Logik- und Kontrollstrukturen beinhalten diese auch eine spekulative Funktion, bewirken sie die Produktion von Materalien die gleichzeitig „fortwährend verunwirklicht“ werden (Parisi). Anders gesagt könnte gerade Imperfektion (Unvollständigkeit) im Zentrum von Algorithmen liegen und sie mit einer ihnen innewohnenden Poiesis ausstatten, aufgrund derer sie zu Verbündeten der Bewahrung von Freiheit werden.
Wie stellt man unvollkommene Rekonstruktionen her? Ein Strang, den ich in den letzten Jahren verfolgt habe, ist die Verwendung von Ähnlichkeit als Antrieb für algorithmische Bewegung. Zum Beispiel kann ein Computer angewiesen werden, innerhalb einer Menge von Klängen solche zu finden, die besonders ähnlich oder besonders unähnlich zu anderen Klängen sind; oder er kann angewiesen werden, Klangstrukturen zu entwickeln, die sich nach und nach einem gegebenen Klang annähern. Was dabei bedeutend wird ist, dass Prozesse initiiert werden, die Trajektorien hervorbringen, welche selbst die ästhetischen Objekte werden, indem sie etwas über ihre inneren Bewegungen sagen, anstelle sich auf die vorherbestimmten Klänge zu richten. Ein weiterer Strang ist die Einführung von Rekonfigurationen, das heißt dem Hinzufügen oder Verschieben von Elementen und Beziehungen zwischen Elementen. So kann etwa eine Trajektorie vom klanglichen in den graphischen Bereich übersetzt werden oder in den textlichen Bereich, und wieder zurück. In dieser Ausstellung werde ich insbesondere mit der algorithmischen Behandlung von Text und Sprache arbeiten. Ein dritter Ansatz schließlich ist die Kopplung von Systemen, etwas das ich gemeinsam mit David Pirrò in dem Projekt ‘Anemone Actiniaria’ untersuche. Dadurch, dass die zwei Maschinen, die wir über viele Jahre hinweg entwickelt haben, zueinander orientiert und zusammengesetzt werden, „entsteht eine neue Maschine“ (von Foerster).
In ‘Imperfect Reconstructions’ im esc mkl werden wir eine übergreifende Installation entwerfen, welche sich in eine Zahl korrespondierender Arbeiten aufspaltet, wobei Klang und Bild, Text und Video kombiniert werden. Im Mittelpunkt stehen die andauernden und iterativen Aspekte der Imperfektion: Wir wollen die verschiedenen Stadien zeigen, welche Stücke durchqueren, und die Art, in welcher Rekonfigurationen stattfinden. Wie bei einer Langzeitbelichtung werden Dinge, die nacheinander passieren oder voneinander entfernt sind, integriert. Die Pfade der Rekonstruktion erhalten so auch etwas „Forensisches“, sie formen spekulative Geschichten.
Gefördert vom Bundeskanzleramt Österreich, dem Land Steiermark und der Stadt Graz. Unterstützt vom esc medien kunst labor und dem Institut für Elektronische Musik und Akustik der Kunstuniversität Graz.
Noch mehr Informationen zum Projekt finden Sie hier: www.researchcatalogue.net