GAME OVER

esc medien kunst labor Game Over Christof Ressi

game over ist eine interaktive audiovisuelle Installation, in welcher das Publikum dazu eingeladen ist, eine große 2D-Computerspielwelt zu erforschen und spielerisch mit dieser zu interagieren. Die Installation umspannt mehrere im Raum verteilte Spielstationen; diese bestehen jeweils aus einem Bildschirm, Kopfhörer, Game-Controller und einer bequemen Sitzgelegenheit und sollen eine nostalgische Wohnzimmeratmosphäre evozieren. Die Spieler:innen hören den Klang über Kopfhörer, die restlichen Besucher:innen über kleine Lautsprecher neben dem Bildschirm. Jede Station wird von oben mit einer mehrfarbigen LED-Lampe beleuchtet, welche ihre Farbe dynamisch an das jeweilige Spielgeschehen anpasst und auf bestimmte Game-Events mit hellen Blitzen reagiert, wodurch die Spieler:innen selbst zu einem integralen visuellen Bestandteil der Ausstellung werden.

Die grundlegende ästhetische Prämisse dieser Arbeit ist die Erkenntnis, dass Computerspielumgebungen als eigenständiges künstlerisches Medium verstanden werden müssen und durch ihren ausgesprochen interaktive Charakter ein großes Potential an komplexen ästhetischen Erfahrungen in sich bergen. In diesem Sinne gehört game over weder zur „Game-Art“, welche Computerspiele tendenziell als bloßes Material betrachtet, noch zu den „Art-Games“, welche üblicherweise als „richtige“ Computerspiel konzipiert und entsprechend auch vermarktet werden. Durch die Vermeidung traditioneller Formen des Gameplays und Storytellings wird aus einer Computerspielumgebung ein offener Möglichkeitsraum. In game over gibt es keinerlei vorgegebene Ziele und damit auch kein Gewinnen oder Verlieren. Die Spieler:innen werden ohne Anleitung oder Vorbereitung „in die Welt geworfen“ und müssen deren Wesen durch spielerische Interaktion Schritt für Schritt entdecken. Der Sinn des Spiels entsteht im Kopf der Spieler:innen.

Die Spielwelt ist eine Collage aus bekannten 2D-Videospiel-Genres, wie etwa Platformer, Top-Down-Dungeon-Crawler oder Adventure-Games in isometrischem Pseudo-3D. Das oft unvermittelte Nebeneinander dieser sogenannten „Spielmodi“ zwingt die Spieler:innen laufend ihre Perspektive zu verändern. Schließlich ist alles, was man auf dem Bildschirm sieht, immer nur eine von vielen möglichen Repräsentationen derselben zugrundeliegenden mathematischen und logischen Strukturen, welche die ontologische Realität des Spiels ausmachen.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten für musikalische Entdeckungen und Interaktion. Alles, was sich berühren lässt – Boden, Wände, Objekte –, erzeugt Klang. Zudem haben die einzelnen Spielregionen unterschiedliche akustische Eigenschaften. Es gibt zahlreiche Objekte und NPCs (computergesteuerte Charaktere), welche selbstständig Klänge oder musikalische Sequenzen generieren und mit denen die Spieler:innen in unterschiedlicher Weise interagieren können. Die Spieler:innen können auch selbst Klänge mithilfe ihres Gamecontrollers erzeugen; manche NPCs sind in der Lage, diese Klänge zu „hören“ und entsprechend zu reagieren. All diese Interaktionsmöglichkeiten zwischen Spieler:innen und Spielobjekten bilden die Grundlage für unvorhergesehene emergente Strukturen klanglicher und visueller Art. Da das Spiel über einen längeren Zeitraum läuft, bleiben die individuellen kreativen Entscheidungen der Spieler:innen für eine gewisse Zeit als Artefakte in der Spielwelt bestehen und können somit von den nachfolgenden Besucher:innen entdeckt und erfahren werden.

Die einzelnen Instanzen des Spiels sind innerhalb eines lokalen Netzwerks mit einem zentralen Game-Server verbunden, alle Spieler:innen befinden sich somit in derselben Welt. Da die Spielstationen räumlich voneinander getrennt sind, ist es wahrscheinlich, dass die Spieler:innen zunächst nicht erkennen, dass einzelne Charaktere tatsächlich von anderen Besucher:innen gesteuert werden. Ist diese Erkenntnis einmal erlangt, beginnen die Spieler:innen möglicherweise mit ihren Avataren zu kommunizieren oder miteinander Musik zu machen. Kommunikation ist dabei nur mit nonverbalen Mitteln wie Bewegung, Bild oder Klang möglich. Als Künstler interessieren mich insbesondere Verhaltensmuster und Gruppendynamik innerhalb einer solchen anonymen kollaborativen Umgebung.

Die erste Version von game over entstand im Rahmen des Forschungsprojekts GAPPP am Institut für Elektronische Musik in Graz und wurde vom österreichische Wissenschaftsfond finanziert (project number AR364-G24). In den bisherigen Versionen der Installationen waren alle Spielinstanzen voneinander isoliert; ein früher Prototyp der hier präsentierten vernetzten Mehrspieler:innen-Version wurde 2022 bei der International Computer Music Conference in Limerick präsentiert.

game over wird auch von zwei Musiker:innen in Form eines Konzerts aufgeführt. Dabei werden beide Ansichten der Spielwelt simultan auf einer großen Leinwand in Form eines Split-Screens dargestellt. Die Spieler:innen kontrollieren ihren Avatar mithilfe eines Sensors, wodurch sie frei auf ihren Instrumenten improvisieren können, während sie mit der Spielumgebung interagieren. Der Klang des Instruments wird in Echtzeit analysiert und in Game-Events übersetzt, welche schließlich an alle Spielobjekte innerhalb eines bestimmten Radius geschickt werden. Die Objekte können auf diese Events wiederum mit ihren eigenen Klängen, Sequenzen oder Prozessen reagieren, wodurch ein musikalischer Dialog zwischen menschlichen und computergesteuerten Akteur:innen möglich wird.