„Als Kind wurden mir oft von meinen Verwandten sehr unterschiedliche Geschichten über dieselben Ereignisse erzählt. Meine Familie mütterlicherseits stammt aus Slowenien und Südkärnten. So gab es PartisanInnen und Nazis in der gleichen Familie, manchmal in sehr engem Verwandtschaftsverhältnis. Die Familie meines Vaters hatte einen sehr rationalen und monolithischen Hintergrund als KommunistInnen, SozialistInnen und AtheistInnen; alle anderen Familienmitglieder waren unpolitisch oder konservativ. Diese Unterschiede standen dem gemeinsamen Kartenspielen oder dem Feiern von Hochzeiten und Begräbnissen aber nie im Weg.
Die Verschiedenheit der Geschichten über das gleiche Ereignis – von meiner Nazi-Tante, meinem Partisanenonkel, meinem kommunistischen Großvater und seinen Verwandten – hat mich immer verwundert. Sie führte zu einer anhaltenden Unsicherheit über den Begriff »Wahrheit«; und zum Gefühl keine Heimat zu haben außer der Parteilichkeit.“ [Seppo Gründler].
Im Rahmen eines Artist in Residence Aufenthaltes bei Aksioma in Ljubljana 2013 führte Seppo Gründler eine Reihe von Interviews mit Verwandten, FreundInnen und KollegInnen aus Slowenien, Kärnten und der slowenisch-österreichischen Grenze, sammelte Foto-, Text- und Videomaterial. Für die Ausstellung im esc medien kunst labor wurde nun neues Material in Form von Interviews, Bildern und Texten gesammelt. Inhaltlich reicht der Zeitraum vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart.
Die ursprüngliche Idee, Biografien zu erzählen und zu erfinden, ließ Seppo Gründler bald fallen, weil „dieses viel zu leicht im »Familienhistorie erzählen« endet“. Die Konsequenz war, sich mit der Gleichzeitigkeit von Ereignissen zu beschäftigen, und mit der Differenz zwischen Erlebnissen und Erfahrungen, die am gleichen Ort zur gleichen Zeit auftreten. Besonders interessierte Seppo Gründler, ob sich Unterschiede in den verschiedenen Sprachwelten ergeben würden – deutsch, slowenisch, zweisprachig – und wie Erinnerung auf Basis der jeweils spezifischen Hintergründe konstruiert wird.
Für die Installation wurde das gesamte Bild- und Tonmaterial indiziert und nach Kategorien wie Jugend, Krieg, Feiern etc. verschlagwortet. Diese Datenbank bildet die Grundlage einer Geschichtenerzählmaschine, die entsprechend der Schlagworte Bilder mit Sprache neu kombiniert. Dadurch entstehen laufend neue Geschichten, die Bilder und Texte werden in einen neuen Kontext gestellt. Durch die Audioinstallation wird der Raum in Sprachzonen geteilt. Es gibt eine deutsche, eine slowenische und eine gemischte Zone, in der eine Cross-Synthese aus deutschen und slowenischen O-Tontexten zu hören ist. Umrahmt wird die Installation von den Projektionen der Bilder.
In der Live-Performance zur Eröffnung der Ausstellung improvisieren Rupert Lehofer und Seppo Gründler zum spontan ausgewählten Bildmaterial der Installation.
Seppo Gründler/Rupert Lehofer - Die Umherschweifenden Produzenten
8-Kanal Klanginstallation mit Videoprojektion