nothing to...
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“Mit Hilfe des Spiegels kam der Mensch nicht nur sich selbst, sondern auch den unendlichen Fernen des Universums näher als mit irgendeinem anderen Medium. Als Medium der Selbsterkenntnis fand der Spiegel die Grenzen seiner wissenschaftlichen Rezipierbarkeit in der Selbstbezüglichkeit, dem großen Thema aller psychoanalytisch orientierten Forschungsansätze.
Als Leerstelle der Welterkenntnis bekamen Spiegel eine wissenschaftliche Perspektive vor allem jenseits ihrer eigenen Medialität in Bildern und Metaphern, den Paradigmen aller bild- und textorientierten Forschungsansätze.”1 Von der Metaphorisierung und Literarisierung des Spiegels in der Antike, über die Optik und Lichtmetaphysik des frühen Mittelalters, bis hin zu den neuzeitlichen Spiegelräumen und der daraus resultierenden “Architektonisierung” des Spiegels: Die Bedeutung des Spiegels als zentrales Metamedium der Visualität wird in der gesamten Menschheitsgeschichte evident.2 Dem Spiegel ist nicht nur eine sehr alte Tradition als magisch-symbolisches Objekt inhärent wie sie in “Spiegelzaubern” sichtbar wird, sondern der Spiegel besitzt auch eine signifikante kunst- und kulturgeschichtliche Relevanz: Galt er in antiken Kulturen als Abbild der Seele, wurde er im Mittelalter mit Keuschheit, Vergänglichkeit und Sinnenfreude assoziert und im Barockzeitalter diente er als Vanitas-Symbol.3 In der zeitgenössischen Kunst taucht das Motiv des Spiegels und die Spiegelmetapher immer wieder auf, insbesondere wegen seiner vielfältigen und paradoxen, sowie widersprüchlichen metaphorischen und wahrnehmungs-psychologischen Sinngehalte.4
Die Installation nothing to... im esc medien kunst labor arbeitet mit den ästhetischen Qualitäten der architektonischen Verspiegelung und mit dem Spiegel als Metamedium der Visualität. Spiegelplatten lösen den Ort der Kunstproduktion in ein Licht reflektierendes Nichts auf. Die Spiegelflächen sind zugleich vermittlende Instanz einer Absenz, als auch aufgeladene wahrnehmungs-psychologische Fläche der Selbstreflektion vorbeigehnder Passant*innen: eine leere Fläche (der nackte Spiegel) versehen mit Statements wie “nothing to post”, “nothing to like”, “nothing to tweet”, „nothing to blog“, „nothing to share“, „nothing to hate“. Nach Kerstin Brandes wird Identität seit den 1980er Jahren nicht mehr als essentialistisch-ontologische Größe betrachtet, sondern als sozio-diskursive und psycho-symbolische Konstruktion welche durch Repräsentation(en) generiert wird.5 Aber was passiert wenn der Identität die Fläche der Präsentation entzogen wird? Wenn das digitale Profil nicht mehr aktualisiert wird?
Besonders der Terminus des “offenen Kunstwerkes” von Umberto Eco lässt sich im Kontext der Installation anwenden: “Offene Kunst sensu stricto entsteht daraus erst, wenn das Kunstwerk als grundsätzlich mehrdeutige Botschaft nicht mehr nur unthematisiert hingenommen, sondern zum Programm erhoben wird.”6 Die Rezeption der vorbeigehenden Passant*innen kann also als ein aktives Mitschöpfen am Werk betrachtet werden. Die Installation nothing to... fällt insbesondere in die dritte Kategorie des offenen Kunstwerkes, die sich durch ihre Unabschließbarkeit und Unausdeutbarkeit auszeichnet.7
nothing to... kann auch mit dem von Kerstin Brandes in ihrem Aufsatz “What you lookn at – Fotografie und die Spuren des Spiegel(n)s” konzipierten “Dritten Raum” oder “Zwischen-Raum” verglichen werden, dieser “meint eine Verräumlichung der Grenze, die für die machtvolle Etablierung sozio-diskursiv und psycho-symbolisch generierter Positionen als Binaritäten, [...] einerseits vorausgesetzt werden muss und […] andererseits gerade der permanente Effekt solcher Vorgänge ist.”8 Der “Dritte Raum” wird also verstanden als ein Raum des permanenten Aushandels und Übersetzens, in welchem Momente der Verstörung neue Bedeutungen konstruieren können.9
Die geisteswissenschaftliche und kulturwissenschaftliche „Spiegelforschung“ fokussierte ihr Forschungsinteresse primär auf die Subjekt- und Bewusstseinsbildung.10 Psychologische, literatur- und bildwissenschaftliche Ansätze verstehen den Spiegel prinzipiell als bewusstseinsbildende Instanz.11 Maßgeblich in diesem Kontext ist Jacques Lacans Aufsatz “Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion”, hier analysiert Lacan die disparate Identität des Kleinkindes und geht davon aus, dass erst durch den Blick des Kindes in den Spiegel und dem Erkennen des eigenen Bildes eine Wahrnehmung des Ichs ermöglicht wird – gerade diese Spaltung des Ich und des Anderen wird zur Basis eines identifikatorischen Prozesses.12 Auch für Jean-Paul Sartre ist die Entstehung des Selbstbewusstseins eng verknüpft mit dem Blick des Anderen.13“Somit erscheinen Wahrnehmung, Denken, Bewußtsein der eigenen Subjektivität, Spiegelerfahrung und Semiose als Momente eines ziemlich unentwirrbaren Knäuels, als Punkte einer Kreislinie, auf der sich schwer ein Anfang bestimmen läßt.”14 (Umberto Eco)
Identität ist nichts Permanentes, sondern sie ist kontextgebunden und verändert sich, sie ist ein kommunikatives Prinzip, das sich auf Prozesse der Reflexion und Interaktion konzentriert – gerade Social Network Sites wie Facebook, Twitter und Co. verdeutlichen diese Ambivalenz, da sie zahlreiche Möglichkeiten zur Transformation der eigenen Identität anbieten.15 Über das Profilfoto, die Wahl der Freund*innen, oder die Kommentare wird eine virtuelle und öffentliche Identität konstruiert. Nur wer sich im Social Web mitteilt, wird sichtbar. Selbstdarstellung und das sogennante “Impression Management” spielen dabei eine große Rolle. In ihrem Artikel “Constructions and Reconstructions of Self in Virtual Reality: Playing in the MUD’s” konstatiert Sherry Turkle: “Virtual reality is not “real”, but it has a relationship to the real. By being betwixt and between, it becomes a play space for thinking about the real world.”16 Aber wie äußert sich diese Beziehung und vor allem: Kann sich das “reale Ich” in Teilen transformieren, wenn das “virtuelle Ich” nicht mehr präsent ist?
Byung-Chul Han meint dazu: “Das digitale Medium bringt das reale Gegenüber immer mehr zum Verschwinden. Es registriert es als Widerstand. Dadurch wird die digitale Kommunikation immer körper- und antlitzloser. Das Digitale unterwirft die Lacansche Triade des Realen, des Imaginären und des Symbolischen einem radikalen Umbau. Es baut das Reale ab und totalisiert das Imaginäre. Das Smartphone fungiert als ein digitaler Spiegel zur postinfantilen Neuauflage des Spiegelstadiums. Es eröffnet einen narzisstischen Raum, eine Sphäre des Imaginären, in der ich mich einschließe. Durch das Smartphone spricht nicht der Andere.”17
Soziale Netzwerke sind das ideale Medium für narzisstische Selbstpräsentationen. Egal ob Selfies, Status-Updates oder polarisierende Kommentare: Facebook, Twitter und Co. bieten die Bühne um ein vollkommenes Bild von sich selbst nach außen zu tragen. „Wir vermuten, dass das Verhältnis von Narzissmus und dem Verhalten in sozialen Medien dem Muster einer sich selbst verstärkenden Spirale folgt, dabei steuert eine individuelle Disposition die Netzaktivitäten; diese Aktivitäten wiederum verstärken die Disposition“18, postuliert Markus Appel.
Der Philosoph und Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han konstatiert in diesem Kontext:
„Die digitale Kommunikation lässt die Gemeinschaft, das Wir, vielmehr stark erodieren. Sie zerstört den öffentlichen Raum und verschärft die Vereinzelung des Menschen. Nicht die »Nächstenliebe«, sondern der Narzissmus beherrscht die digitale Kommunikation. Die digitale Technik ist keine »Technik der Nächstenliebe«. Sie erweist sich vielmehr als eine narzisstische Ego-Maschine.“19 (Byung-Chul Han)
Ist die Form der Identität, die wir durch unsere Internetprofile erzeugen, mit der Wasseroberfläche, die das Spiegelbild des Narziss zeigt, vergleichbar und was passiert bei Entzug des Bildes - wenn wir nicht mehr posten, liken, tweeten etc.?
Idee und Konzept: Ilse Weber
Produktion: esc medien kunst labor
Text von: Ilse Weber und Elisabeth Saubach
1Slavko Kacunko, Spiegel. Medium. Kunst. Zur Geschichte des Spiegels im Zeitalter des Bildes, Publikation zum Projekt “Spiegel. Medium. Kunst”, Andrea von Braun Stiftung, 1. Auflage, Paderborn 2010, S.1. http://www.avbstiftung.de/fileadmin/projekte/LP_AvB_Kacunko_Slavko.pdf (Zuletzt besucht: 30.03.2017)
2Vgl. Kacunko 2010, S.7.ff.
3Vgl. o.A., Presseaussendung zur Ausstellung “Die andere Seite – Spiegel und Spiegelungen in der zeitgenössischen Kunst”, 18.6.2014 – 12.10.2014, Orangerie im Unteren Belvedere, o.S. http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20140617_OTS0042/belvedere-die-andere-seite-spiegel-und-spiegelungen-in-der-zeitgenoessischen-kunst (Zuletzt besucht: 30.03.2017)
4Vgl. Ebd., o.S.
5Kerstin Brandes, “What you lookn at” – Fotografie und die Spuren des Spiegel(n)s, in: Susanne von Falkenhausen, Ingeborg Reichle, Silke Förschler u.a. (Hrsg.), Medien der Kunst. Geschlecht, Metapher, Code.,Marburg 2004, S.148-163, hier: S.152. http://homepage.univie.ac.at/nikola.staritz/Texte/Brandes.pdf (Zuletzt besucht: 30.03.2017)
6Karl Baier, Offenes Kunstwerk versus Kunst der Offenheit. Umberto Eccos abendländische Werk-Ästhetik und John Cages buddhistische Alternative, in: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, Ästhetik, Bd. 9., 2003, S.38-57, hier: S.39.
7Vgl. Baier 2003, S.39.
8Vgl. Brandes 2004, S.148.
9Vgl. Ebd., S.152.
10Vgl. Kacunko 2010, S.3.
11Vgl. Ebd., S.4.
12Vgl. o.A., Presseaussendung 2014, o.S.
13Vgl. Ebd., o.S.
14Umberto Eco, Über Spiegel und andere Phänomene, München, Wien 1988, S.27.
15Vgl. Kerstin Marth, Social Networks und Identitätskonstruktion, Masterthesis, Wien 2010, S.21.ff. http://othes.univie.ac.at/11883/ (Zuletzt besucht: 31.05.2017)
16Sherry Turkle, Constructions and Reconstructions of Self in Virtual Reality: Playing in the MUD’s, in: Michael Cole, Bonnie Nardi, u.a. (Hrsg.), Mind, Culture and Activity (MCA), Journal, Vol.1, Nr.3.,1994, S.158-167, hier:S.165.
17Byung-Chul Han, Im Schwarm. Ansichten des Digitalen, Berlin 2013, S.34-35.
18Markus Appel, Narcissism and Social Networking Behavior: A Meta-Analysis. Timo Gnambs and Markus Appel. Journal of Personality. DOI: 10.1111/jopy.12305, S.4.ff.
19Byung-Chul Han 2013, S.65.