Writing Machines

Hanns Holger Rutz & Nayari Castillo

Laufzeit: 

24/10/2012 bis 17/11/2012

Öffnungszeiten: 

Eröffnung: Mittwoch, 24.10.2012, 19.00 Uhr
Einführung: IOhannes m zmölnig
zu sehen bis Samstag, 17.11.2012

Eröffnung: 

Mittwoch, 24. Oktober 2012 - 19:00

Zum zweiten Mal kommen die Installationskünstlerin Nayari Castillo (VE) und der Klangkünstler Hanns Holger Rutz (DE) in einem Projekt zusammen. Für die Ausstellung mit dem Titel "Writing Machines" In der ESC im Labor haben die beiden eine Reihe neuer Arbeiten entwickelt, deren Bandbreite von einer Falle für Geisterstimmen, über einen intimen Monolog zum Schaffensprozess und Artefakte dieses Prozesses, hin zu einer Geschichte über die Obsession eines Brandstifters und Notationen zum Intensivwerden von Klangerinnerungen reicht.

Die Ausstellung fungiert als kurioses Laboratorium, wo gewöhnliche und ungewöhnliche Vorstellungen des Schreibens über die Grenzen von Medien - Klang, Text, Bild, Objekte - zu einem räumlichen Dialog verwoben sind. In den Experimenten geben Beobachter und Beobachteter den Widerstand ihrer Trennung auf, werden eine Maschine. Sind Getriebe und getrieben. Die Bewegung zählt - daß geschrieben wird, überlagert das, was geschrieben wird.

Mit dem Titel knüpft Hanns Holger Rutz an eine Arbeit von 2011 an, führt aber nicht nur sie, sondern seine "Arbeit an sich" fort.

Schreiben—aufschreiben, einschreiben, umschreiben, überschreiben—bezieht sich "wortwörtlich" auf den Vorgang des Komponierens, spielt mit dem Klischee des Genius mit dem leeren Blatt vor sich (außer den fünf Linien...), überhaupt mit dem Exklusivitätsanspruch des literaten Komponisten, von dem sich diejenigen, die keine Notenköpfe malen, schamhaft als (Nur-)Klangkünstler abgrenzen. Darum geht es in der Maschine – daß Schreiben vor den Buchstaben beginnt (L'écriture avant la lettre, wie Derrida sagt), und längst nicht mit ihnen endet. Daß man nicht ein Werk schreibt und dann aufführt. Daß man das Werk immer schon begonnen hat zu schreiben, und daß das Schreiben nie aufhört. 

Maschine sein.
Getriebe sein. 
Getrieben sein. 
Es geht um die Form des Schreibens, nicht um etwas, was es bezeichnen würde. Um die Bedingungen des Schreibens (nicht die Ursachen), um die Bewegung des Schreibens. Das Derrida'sche Pro-gramm—die Indifferenz gegenüber Metaphysik und ursprünglicher Bedeutung und Präsenz—und das kybernetische Programm—die Indifferenz von Mensch und Maschine—als befreiend zu sehen. Es interessiert nicht, ob der Mensch als Künstler eine Intention erfolgreich durch "ein Werk" transportiert, wenn man die Vorstellung eines Interpretanten aufgibt. Es interessieren nur noch die Cogs and Wheels, aus denen der ganze ästhetische Prozeß aufgebaut ist. Es interessiert nicht, ob eine Entscheidung auf mich als Komponisten zurückgeht, oder auf einen Algorithmus, der als generatives Element die Komposition fortfährend weiterspinnt. Oder auf einen Besucher, dessen Bewegungen von einem Sensor aufgeschnappt werden. Und selbst ohne jegliche technische Kopplung ist der Besucher als Beobachter ein schreibendes Element, eines der Zahnräder im Getriebe. Schreiben = Beobachten = Unterscheiden (formen) = Spuren hinterlassen. 

Hans-Jörg Rheinberger schreibt: "Je enger ein Wissenschaftler mit seiner Experimentalanordnung vertraut ist, desto wirksamer erschließen sich ihre inhärenten Möglichkeiten. Paradox formuliert: Je stärker ein Experimentalsystem an Geschick und Erfahrung des Forschers gebunden ist, desto selbständiger macht es sich in seiner Hand." 

Hanns Holger Rutz interessieren die übertragung (übertragbarkeit) der Idee des Experimentalsystems von der Naturwissenschaft auf die Kunstpraxis. Vertraut sein, Vertrauen entwickeln, in die Unabhängigkeit der experimentellen Anordnung (des Computeralgorithmus) vom Diktat des Künstlers. Als Komponist Beobachter sein, beobachten, wie sich die Maschine verhält, überrascht werden. 

Epistemischen Dingen (künstlerischen Apparaten) muß die Möglichkeit gegeben werden, zwischen verschiedenen Bedeutungen zu oszillieren. Oszillation als Form des Paradoxons, bei Spencer-Brown zwischen markiertem und unmarkiertem Raum, zwischen dem, was bezeichnet ist, und all dem, was nicht bezeichnet ist; bei Derrida die Selbstreferenz des Bezeichnens, die endlose Kette und Spur der Signifikation. Spiel der Iterationen, spielerische Iterationen, Spiel der Möglichkeiten. 

Rheinberger spricht von der Kohärenz eines Experimentalsystems durch Wiederholung. Nicht etwas völlig anderes machen, sondern ähnlich. Imitation ist Imitation dadurch, daß sie vom Imitierten abweicht. Beginnt eine Oszillation immer stärker auszuschlagen, zerbricht die Kohärenz. Klingt eine Oszillation ab, lagert sich etwas als bekannte Tatsache ab, wird eine Vorrichtung der Wissens- oder Kunstproduktion zu technologischem Artefakt. Deshalb ist der oft frustrierende Kampf des Künstlers mit dem Computer-Gegenüber unumgänglich. Es geht immer darum, die Technologie, von der wir abhängig sind, zu destabilisieren, sie künstlerisch produktiv zu machen, die Reibung aufzuspüren, ihren Abrieb festzuhalten (gemahlenes Graphit, zerstäubte Schreibsubstanz). Der Computerkünstler als Schreib-Maschine schreibt nicht nur die zu perzipierenden Gesten, sondern auch Anweisungen für den Computer, solche Gesten zu entwickeln. Und schreibt in der Anstrengung, sich von der Technologie zu befreien, die Software, mit der er die Software schreibt, mit der der Computer die Komposition schreibt, usw. Ist es möglich, eine experimentelle Software zu schreiben? Also etwas, was aus den Fängen der Informatik ausbricht, aus dem System von binärer Logik, Baumstrukturen usw. Was wäre eine rhizomatische Software? 

Selbst-Referentialität und Indeterminiertheit sind die Ingredienzien von Paradoxien. Wir denken Oszillation, denn Abwicklung in der Zeit löst das Paradoxon auf. "The power of recursion evidently lies in the possibility of defining an infinite set of objects by a finite statement" (Niklas Wirth). Kein Künstler ist frei von dieser perversen Allmachtsphantasie—mit beschränkten Mitteln ein potentiell unendliches Universum generieren, den Kunstkritiker dazu verdammen, sich auf ewig in seiner Hermeneutikspirale zu drehen. Zerlegungskünstler: Eine komplexe, der Umwelt entnommene Klangmasse nehmen und zerschneiden. Eine grenzenlose Idee in Schritte zerteilen und mit Hilfe einer Programmiersprache eingrenzen. Beweisführung der Informatik: Wenn A funktioniert und B funktioniert, dann funktionieren auch A und B zusammengenommen. 

Klangkunst auch als Raumkunst. Bewegungen, Prozesse der Rekursion können nicht nur in der Zeit, sondern auch im Raum abgewickelt werden, Befreiung vom Dann-und-dann-und-dann. Das will ich mit meiner Software-Maschinerie: Rekursionsvorgänge aufbohren und ihnen eine zeitliche und räumliche Ausdehnung geben, so daß sie beobachtbar werden. Ihnen Kontrastmittel spritzen, auf Emergenz hoffen, auf eine sonderbare Art von Vacillation. 

Hoffen heißt auch, daß etwas nicht eintreten kann, daß man enttäuscht wird. Das Ausblenden der Enttäuschung, die Vorfilterung für den Besucher, gehört zu dem üblichen Versteckspiel, das mir an der Kunst-als-Spektakel auf den Geist geht. Der enervierende Künstlerhabitus des 'ich bin schlauer als Du', der sich in der elaboriertesten Form als kunstvolles Verstecken gebiert und in der niedrigsten Form das Rezept der Laut- und Schrillheit befolgt. 

Aber da ist auch eine Aversion gegen das Nicht-erklären-wollen. Das kann legitime Gründe haben, die Angst davor, daß die Erklärungen eine Arbeit übertönen und den Besucher taub und blind machen für nicht gesagte Dinge. Oder wenn man sagt, eine Arbeit sei "akademisch", was heißen soll, die ästhetische Erfahrung ist disproportional zu dem über die Arbeit Gesagten. Wenn jedoch die Vorstellung von Re-entry und Re-kursion ernst genommen wird, warum soll dann der Metadiskurs aus der Galerie ausgelagert werden? Denn er gehört ja als Reproduktion der Form innerhalb ihrer selbst an den Ort der Arbeit, und die Auslagerung wäre eine Art Amputation. Hanns Holger Rutz will versuchen, die Arbeit zusammen mit Beschreibungen / Beobachtungen über sie zu zeigen. 

Zwei Seiten der raumzeitlichen Ausdehnung der Rekursion: Die dunkle Seite ist ihre Bedingung—daß eine beobachtende Datenstruktur da ist, die alle Schreibvorgänge aufzeichnet, ein Gedächtnis der Entstehung einer Komposition. Dunkel, denn das Computergedächtnis fungiert als bessere Prothese des menschlichen Gedächtnisses. Kalkulierbarer (Schreiben und jegliche künstlerische Produktion als Externalisieren und Kompensieren des eigenen sterblichen, unzureichenden und nach-und-nach versagenden Gedächtnisses). Und zugleich manipulierbarer: "Everything faded into mist. The past was erased, the erasure was forgotten, the lie became truth." ('1984'). Die helle Seite ist die Freude an der ästhetischen Qualität von Datenstrukturen, ihres Re-entry als "pures sensuelles" Element. Nicht nur als Hintergrund für das Funktionieren der Aufzeichnung und des Re-Writings, sondern auch als sichtbarer Vordergrund von glänzenden Zahnrädern.