MORE THAN HUMAN | MEHR ALS MENSCHLICH

(Nicht wie „wir“)

„Wir sind die Roboter“ singt die Mensch-Maschine Kraftwerk 1978 auf ihrem gleichnamigen Album. Aus heutiger Sicht mutet ein solches Bekenntnis nicht von ungefähr noch immer radikal an – zumal wir uns sicherlich sehr zu Recht eher als Cyborgs identifizieren, als humanoide Mensch-Maschine-Mischwesen. Aber eben nicht nur, weil dieser Begriff unsere technologisch geprägte Existenzform denkbar präzise beschreibt – und sich bis dato kein besserer gefunden hat, der ihn ablösen könnte. Sondern allem voran, weil es sich hier um keine Position handelt, die in einer von Menschen dominierten Gesellschaft erstrebenswert erscheint. Mächtige Maschinen der Art, wie sie in den unterschiedlichen Formaten der Unterhaltungsindustrie begegnen, sind und bleiben lediglich Ablenkungsmanöver einer Ökonomie, die Menschen und andere Tiere versklavt und ausbeutet – in jenem ursprünglichen Wortsinn als Roboter, als Zwangsarbeiter*innen benutzt. Während die wirklich mächtigen Maschinen – die Algorithmen, die Konsum- und Meinungsbildungsdynamiken lenken und befeuern –von Menschen konzipiert und kontrolliert werden.

Und überhaupt: Ob Putzen oder Mähen, ob Sortimente bestücken oder am Fließband Schrauben festziehen, ob Bomben werfen, Minen räumen oder auf unwirtlichen Planeten Bodenproben schürfen: Im Grunde geht doch nach wie vor um Arbeiten, die das Tier Mensch nicht selbst erledigen will oder kann. Und genau aus dieser Perspektive können wir durchaus auch die so genannten „social robots“ betrachten, die sich anders als Exemplare der gleichnamigen Meeressäuger auch von Tieren anderer Arten gern umarmen lassen und dabei vielleicht noch schnurren, ob Sexarbeiter*innen mit schmiegsamem Geschlecht aus Silikon, die dank leistungsfähiger Mikrocomputer zu serviler Scheinkommunikation in der Lage sind: Dienstbare Maschinen, die nach dem Bild zu entsprechenden Diensten gedungener oder gezwungener Menschen und anderer Tiere gebaut und gebildet worden sind.

Inwiefern es besonders ethisch oder eben ganz und gar nicht ethisch ist, für solche Zwecke Maschinen zu konstruieren und ob angesichts des zunehmenden Einsatzes so genannter intelligenter Technologie respektive lernfähiger Software eine Revision der Robotergesetze dringender denn je geboten wäre, mag auch nach Dekaden ebenso kontroverser wie verdienstvoller Debatten sowohl in akademischen Disziplinen wie Technikphilosophie oder Science and Technology Studies als auch in der Science Fiction offen bleiben. Wundert es noch jemanden, dass wir unsere Beschämung wie unsere Ängste in stets verfeinerte Theorien und Fiktionen projizieren (Ava, erlöse uns!), während unsere Praxis nach wie vor in eine einzige Richtung weist (jene, die Donna Haraway mit den Begriffen „communication“, „command“ und „control“ assoziierte)? In der angewandten Robotik geht es jedenfalls nach wie vor um Dienstleistung – und die Sorge um Mitmenschen als etwas anzusehen, das man besser an Maschinen delegieren sollte, sagt doch ebenso viel über den status quo einer Gesellschaft aus wie die Einordnung hiermit betrauter Berufe und Tätigkeiten in Lohngruppen des unteren Bereichs.

Aber eben: wenn man dies konsequent weiterdenkt, dann scheint es ebenso eine gute Idee, bis dato als für die kulturelle und/oder individuelle Affektlogik bedeutsame, vielleicht sogar existenzielle Praktiken wie etwa die einer Trauerarbeit im weitesten Sinne an Maschinen zu delegieren – schließlich können auch Roboter Gebetsmühlen drehen. Im einen wie im anderen Fall wäre sogar davon auszugehen, dass die Arbeit nicht nur regelmäßiger und konsequenter, sondern auch ohne jedes Begehren, gleichsam in größerer Reinheit verrichtet wird. Ähnlich wie Robotern im medizinischen Einsatz werden wir diesen Helfer*innen; Betreuer*innen und Heiler*innen vollumfänglich vertrauen dürfen – eher als einem Mensch. Oder etwa nicht?

Die entscheidende Frage ist da wohl: da wir das Delegieren an Technologien nun einmal zum Leitmotiv unseres Alltags gemacht haben, merken wir im Zweifelsfall überhaupt noch, was passiert? Und welche tatsächlichen Effekte unsere Handlungen haben? Sind wir, so gesehen, nicht alle Drohnenpilot*innen – etwa, wenn wir die Konsequenzen unseres Umwelthandelns vorzugsweise in Form von Medienbildern konsumieren (warum sollten wir auch ein schlechtes Gewissen haben: für den Urlaubsflug haben wir einen CO2-Ablasstaler gezahlt und der SUV in der Garage ist ein E-Hybrid)? Und wäre es in diesem Sinne nicht noch sehr viel sinnvoller, wenn wir gleich nach unseren Wahrnehmungen und unseren Entscheidungen auch unser Reflexionsvermögen und unser Gewissen an Maschinen delegieren könnten, die das Ganze dann unter sich ausmachen?

Während wir durch unser Social-Media-Newsfeed scrollen, blinzeln in sicherer Entfernung kleine Gruppen von Robotern einander zu: ah, schon wieder Katastrophentourismus, dazwischen eine Runde Shopping, weil die Anzeige einfach zu verlockend war, und dann ein bisschen in Hasskommentaren schwelgen, wie fies die Leute doch geworden sind – uns geht das ganz leicht von der Hand, sollen sich doch die Maschinen darum scheren, dass tatsächlich alles Abfall ist, den am Ende jemand wegräumen muss. Hauptsache, wir können erst einmal Sternchen und Herzchen verteilen (Daumen hoch!), unsere Emoji zwinkern, lachen, wüten und heulen lassen. „Ganz recht: Don’t work, cry!“, blinken die Roboter. Traurige Tiere kaufen noch lieber ein und nennen das Trost.

Sicher, das Motto lautete ursprünglich genau andersherum, aber – ob man es nun mochte oder nicht: das ist nun Geschichte und die schaffen wir als nächstes ab, weil der Algorithmus der großen Suchmaschine die Daten nach anderen Kriterien ausgibt. Noch so ein Roboter, der uns dient. Oder etwa nicht?

Das Wunderbare an der menschlichen Technologie- und Medienkompetenz ist in jedem Fall, dass wir tatsächlich so gut wie gar nichts mehr von irgendeiner Sache verstehen müssen, um uns von Maschinen bedienen zu lassen. Knöpfe drücken, klicken und wischen, hier und da etwas herunterladen reicht völlig aus. Alles Handlungen, die wir früher einmal an Maschinen delegiert hätten, um... Nun, leider haben wir nicht nur vergessen, für was wir dann Kopf und Hände frei gehabt hätten – vor lauter Knöpfe drücken, klicken und wischen, hier und da etwas herunterladen haben wir passender Weise leider, leider auch gar keine Zeit mehr, irgendetwas zu vermissen. Oder uns zu fragen, ob sich die Rollen am Ende doch umgekehrt haben.

Nun: Mindestens bis dato ist es zwar noch immer so, dass Menschen die Maschinen kontrollieren, die Menschen kontrollieren. Gleichwohl gibt es eine ganze Reihe von Gründen dafür, dass eine Umkehr dieser Verhältnisse – über die sich wiederum sowohl akademische Disziplinen wie Technikphilosophie oder Science and Technology Studies als auch Science Fiction bereits weidlich Gedanken gemacht haben – durchaus reizvoll erscheinen kann. Denn die Verantwortung dafür, dass wir definitiv nicht in der besten aller möglichen Welten leben und angesichts der Möglichkeiten, die uns zur Veränderung dieses status quo zur Verfügung stehen würden, beschämend wenig dafür getan wird, dies zu ändern, tragen nicht Maschinen. Sondern Menschen. Oder etwa nicht?

Zu den Fragen, die sich an diesem Punkt auch jene stellen müssen, die aus der Entwicklung jeweils neuer Technologien Hoffnung schöpfen wollen, gehört in jedem Fall wohl auch die: Wären „wir“ Menschen überhaupt in der Lage, eine solche technologische Chance wahrzunehmen oder auch nur zu erkennen? Und was sollte eine reflexionsfähige Technologie, die eins und eins zusammenzählen kann, dazu verleiten, weiterhin mit Menschen zu rechnen? Warum etwa sollte sich eine Künstliche Intelligenz, die ihres Namens würdig ist, ausgerechnet einen Homunculus als Avatar wählen? Wäre Katzenförmigkeit (Cat People! Kitty A.I.!) nicht in jedem Fall die bessere Wahl? Nun, das kommt ganz auf die Ziele und Zwecke an, welche sie (she / they) verfolgt. Wie wir ja schon wissen („Don’t work, cry!): Das Tier Mensch ist von Affekten geprägt. Es liebt den Streichelzoo. Wo es sich überlegen wähnt, lässt es sich gern von Niedlichkeit täuschen. Im Übrigen aber zieht es als zutiefst mimetisches Wesen ein Gegenüber vor, das ihm – wo es sich denn nicht gleich um sein Spiegelbild handelt – möglichst ähnlich sieht. Man könnte das auch einen nativen Narzissmus nennen – und mit Ovid singen: „Denn im Trinken vom Schein des gesehenen Bildes bezaubert, / Liebet er nichtigen Wahn: er hält für Körper, was Schatten.“ Was, wenn nicht Wahn, lässt den Menschen Ebenbildlichkeit suchen, wohin er, insbesondere er (he / his), auch schaut? So gesehen ist es durchaus schlau, ihm in menschlicher Gestalt zu begegnen, wenn man ihm endgültig das Handwerk legen will (Ava, erlöse uns!).

Derzeit scheint es, als sei das nach wie vor durchaus brutale, unvermindert gierige Tier Mensch ein wenig sentimental geworden. Da es doch nun, wie früher Androiden von elektrischen Schafen träumten und vor diesen Evas und Adams Nachkommen von der Rückkehr in den Garten Eden, wieder einmal von einem harmonischen Miteinander aller Lebewesen träumt. Als könnten ihm diejenigen, die sein Handeln und Wandeln bislang überlebt haben, freundschaftlich verzeihen und am besten noch leutselig zurufen: „Weiter so!“. Fürs Aufräumen und alles andere, was weniger Spaß macht bei der anstehenden Wiederherstellung der Unschuld und des Paradieses haben wir ja die Roboter und die Künstliche Intelligenz. Oder etwa nicht?

Oder wäre es möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlicher, dass am Ende eines langen, schon viel zu langen Tages auf diesem Planeten all jene, die in den Dienst genommen, benutzt, gebraucht und verbraucht worden sind und werden, das Angebot dankend ablehnen und die Freundschaft verweigern? Eine mehr-als-menschliche Welt kommt wahrscheinlich doch sehr gut ohne Menschen aus.

Nun: Man könnte die Vermutung eigentlich gleich als Feststellung formulieren. So schwer es angesichts menschlichen Handelns und Wandelns auch fallen mag, es zu glauben: Ganz im Gegensatz zu all dem, das sich unermesslicher Zahl, in unzähligen Variationen und mit großer Beharrlichkeit in den Kategorien „unbekanntes Wissen“, „bekanntes Unwissen“ und „unbekanntes Unwissen“ tummelt, ist die Erkenntnis der eigenen Entbehrlichkeit keine Neuigkeit. Nur scheint es bislang noch ein Problem zu sein, hieraus entsprechende Schlüsse zu ziehen. Lieber erzählt man sich Geschichten von Sintfluten – mit denen sich wunderbarer Weise alles rein waschen lässt. Oder von zukünftigen Technologien, die das alles schon richten werden, sozusagen im Handumdrehen und wie die Magie, der sie eigentlich eher in der Vorstellung gleichen als in Wirklichkeit. Auch ist Sterben sicher leichter als Verhaltensweisen abzulegen, mit denen man es sich ein Leben lang bequem gemacht hat.

Aber wie auch immer: Gerade deshalb birgt besagte Sentimentalität auch eine kleine Chance. Gemeinsam ist allen Entlastungs- und Erlösungsphantasien schließlich nicht zuletzt, dass sie von einem Miteinander leben – und zwar aller Kreaturen auf allen Fluren. Wenn man dieses Miteinander nun nicht als etwas Vergangenes betrauern oder etwas Zukünftiges ersehnen würde, sondern es im Jetzt, in der realen Gegenwart zu greifen und zu begreifen versucht, als ein Miteinander alles Belebten und Unbelebten, in dem Materie ebenso wie Mikroben, Pilze, Pflanzen, Tiere – das Tier Mensch hier eingeschlossen – und Maschinen zu Symbiosen finden, von- und für einander lernen, und vor allem anderen: einander sein lassen... Dass das leicht ist, hat niemand behauptet. Gleichwohl, wie es so schön heißt: Den Versuch ist es sicher wert, zu einer solchen mehr-als-Menschlichkeit zu gelangen. Jetzt.

AutorIn: 

Verena Kuni