Doku The Self
Laufzeit:
Öffnungszeiten:
Di – Fr, 14.00 – 19.00 Uhr
und nach Vereinbarung, Eintritt frei.
Doku The Self ist auch im Aussenraum des esc medien kunst labors sichtbar. Detaillierte Information können jederzeit mittels QR Code abgerufen werden.
Eröffnung:
Installationen:
Im Traum gestorben und in der Realität erwacht, bin ich die Person in meinem Traum und ich bin ebenso die Person, die träumte.
In Doku The Self bezieht sich Lu Yang auf die buddhistische Redewendung Dokusho Dokushi – Wir sterben alleine, wir werden alleine geboren. Davon leitet sich auch der Name der Figur Doku ab, des digitalen Avatars von Lu Yang. Die Transformation Dokus in verschiedene Formen – sechs Inkarnationen – repräsentiert den immerwährenden Kreislauf von Tod und Wiedergeburt, im Buddhismus und im Hinduismus Samsara genannt.
Doku existiert jenseits von Sterblichkeit, Schwerkraft und Sexualität. Doku kann sich immer wieder neu erfinden, kann jede Phantasiegestalt annehmen, kann Superwoman und/oder Superman oder ein Fabelwesen sein und sich dabei jede Art von Schönheit oder Hässlichkeit aneignen. Dank Computerphysik und digitaler Simulationstechnologien sind Dokus Verwandlungen potentiell unendlich.
In Lu Yangs Arbeiten verschmelzen animierte, wilde rhythmische Tanzrevuen von hybrid-makabren Cyborgs und Mutanten mit den psychedelisch explosiven Soundmischungen aus Techno, Death Metal und Oper sowie flackernd gleißenden Licht-Kompositionen. 1985 in Shanghai geboren, zählt Lu Yang zu den international einflussreichsten chinesischen Multimedia-Künstler*innen der Gegenwart. Lu Yangs Schaffen umfasst 3D-Animationsfilme, Hologramme, Videospiel-Installationen, Virtual-Reality-Projekte und grafische Arbeiten.
[Quelle: Britta Färber zur Ausstellung „Lu Yang: DOKU – Experience Center]
Die immersiven Installationen von Lu Yang changieren zwischen Kunst, Entertainment, Spiritualität, Technologie und Wissenschaft. Kooperationen mit Software-Entwickler_innen, Musiker_innen, Tänzer_innen, Dichter_innen, Philosoph_innen und Bioinformatiker_innen sind für Lu Yang wesentlicher Aspekt einer künstlerischen Strategie, die sich in Werken zwischen Video, Sound, Licht und Skulptur entfaltet. Dabei nutzt Lu Yang computergenerierte Technologie, um rituelle Tänze oder Tätowierungen in den virtuellen Raum zu übersetzen. In einer Synthese von popkulturellen Phänomenen wie Manga, Anime oder Science Fiction mit wissenschaftlichen Werkzeugen neuester Technologie entstehen Werke, die uns mit audiovisuellen Installationen in andere Realitäten mitnehmen und uns von anderen Welten träumen lassen.
In einer momentan sehr chaotisch anmutenden Welt befindet sich Lu Yang auf einer künstlerischen Suche nach Erkenntnis und Frieden. Im Mahayana Buddhismus findet Lu Yang dabei Antworten und eine Spiritualität die als künstlerische Strategie in den Werken angewandt wird.1 Besonders prägnant ist dabei eine Annahme, die Lu Yang in einem Interview wie folgt formuliert: „In Buddhism, there's the idea that nothing is real, whether it's in the digital or physical world. You can't touch it; it's like a bubble or a dream. Based on this concept, I don't think digital worlds are fake. They're real.“2 Auf jenem spirituellen Konzept basierend, entwickelt Lu Yang die Idee, dass die virtuelle Welt real ist. So versteht Lu Yang die virtuelle Realität (VR) nicht länger nur als konstruierte Oberfläche – oder als eine Erweiterung der Realität, sondern als Gegenentwurf zu einer analogen Realität, als eine andere Realität in die der Körper als virtuelles Ich übersetzt wird und in jener digitalen Welt tatsächlich existiert.
Die bei der Biennale di Venezia 2022 als DOKU – Digital Descending in gewisser Weise uraufgeführte erste narrative Videoinstallation von Lu Yang begann als Projekt mit der Kreation des Avatars „Doku“ die/der weder in einem Geschlecht, einer Religion – oder einer Nationalität zu verorten ist.3 Mit der Software „Avatary“ des Unternehmens „Facegood“ wurden fünfzig mimische Ausdrucksvariationen des Gesichts von Lu Yang digital von 3D-Scannern erfasst und formten das Gesicht des „Digital Human“. Um die spezifischen Tanzbewegungen des Avatars zu generieren, reiste Lu Yang nach Bali und in das indische Kerala, wo er/sie sich mit Tänzer_innen des rituellen balinesischen Legong und des indischen Kathakali auseinandersetzte. Dabei wollte Lu Yang erforschen wie die Tänzer_innen ihre Körper beinahe roboterhaft in symmetrischen Bewegungen zum Ausdruck bringen. Im Anschluss arbeitete Lu Yang mit Hip-Hop-Tänzer_innen und balinesischen Tänzer_innen zusammen, um die Bewegungen des Avatars Doku per Motion-Capture-Verfahren (über Kameras an der Kleidung der Tänzer_innen befestigt) in mehreren Tanzsessions zu entwickeln. So wurde jede Bewegung die wir im Video sehen von realen Menschen getanzt und anschließend in CGI-Grafiken übersetzt und animiert. Zuletzt tätowierte Oshima Tako, ein Meister der japanischen Tätowierung, die Haut und die Kleidung des Avatars mit Ornamenten aus Tusche die aus der Zeit der Jōmon-Epoche (eine von 14.000 v.Chr. bis 300 v.Chr. andauernde Phase in der Vorgeschichte Japans) stammen. Der/die in jener Welt unsterbliche Doku kann sich dabei immer wieder neu erfinden – dabei entführt Lu Yang die/den Avatar Doku auch immer wieder in gewisser Weise in die analoge Welt, indem Doku beispielsweise einen eigenen Stylisten hat, bald mit der chinesischen Sportartikelmarke „Li-Ning“ kooperiert und mit der Indie-Rock-Band „The 1975“ in Manchester bei einem Konzert zusammen mit der Band aufgetreten ist.4
Das digitale Alter Ego von Lu Yang findet sich in Doku The Self in sechs Variationen ihrer/seiner Selbst wieder – und in sechs verschiedenen Welten die alle als Teile eines virtuellen Paralleluniversums miteinander verbunden sind. Zu Beginn des Videos scheint Doku in der virtuellen Welt anzukommen und erkennt/verliert sich selbst in ihrer/seiner Reinkarnation als „Doku Human“ in der ersten vorgestellten Welt die eine düster anmutende Skyline als Hintergrund der Szenerie vorstellt. Als zweite Variation des Avatars begegnet uns „Doku Heaven“, die/der sich in einer fantastisch anmutenden Naturumgebung bewegt, worauf „Doku Asura“ folgt, die/der, vor dem Hintergrund einer an Tempelbauten erinnernden Kulisse in eine Art Kampf mit den Göttern tritt. Der „Hungry Ghost“ bewegt sich als immer eifersüchtiger Geist in der nächsten Szene des Videos in einer Welt, die an die von Science-Fiction-Autor_innen beschriebenen Städte denken lässt, in denen beispielsweise die Regeln der Statik, überhaupt der Physik aufgehoben scheinen und skurrile Gebäude und Türme in einem türkisblauen Lichtermeer verschwimmen. „Doku Animal“ bewegt sich scheinbar in einer Raumkapsel oder Raumstation im Weltraum, umgeben von verschiedenen Tieren, von einem Hai über ein Schaf oder ein Schwein bis hin zu einem Tiger, die sich z.T. mit den Bewegungen des Avatars mit in eine gemeinsame Bewegung versetzen. Darauf folgt eine Szenerie mit dem Avatar „Doku Hell“, die/der uns in eine dunkle Welt hineinversetzt in der der Himmel durch schwarze Wolken verdunkelt wird und in der Ferne als Horizont schroffe gebirgsähnliche Steinformationen neben einer (ver)glühenden planetenartigen Formation zu erahnen sind, wobei „Doku Hell“ mit dem Kopf eines Opfers in den Händen einen scheinbaren Siegestanz über ihren/seinen Feind vollführt. Zuletzt löst sich Doku, in kristallinen Strukturen in den Himmel schwebend, offenbar auf – ein eindeutiges Motiv des Diamant-Sutra, wie es Britta Färber (Kuratorin der Ausstellung „Lu Yang: DOKU – Experience Center“, Berlin) erkannte; so besitzt jede/jeder Avatar seine eigene Welt und darüber sein eigens Narrativ. 5 Was sich wiederum als ein Verweis auf ein Leitmotiv von Lu Yang feststellen lässt: Nach der Lehre des Buddha existieren zwei Wirklichkeiten/zwei Wahrheiten: einerseits die Welt der Form (der sinnlich erfahrbaren Phänomene) und andererseits die Welt der Leerheit (eine Sphäre jenseits der Form, jenseits von Tod und Geburt, Anfang und Ende, Selbst und Nicht-Selbst, eine Welt jenseits aller Begriffe) – „Form ist Leerheit – Leerheit ist Form“.
Neben jenem Narrativ, das über die Videoinstallation entsteht, bilden die unterschiedlichen sechs Welten der VR je unterschiedliche Narrationen für ihre sechs Avatare. Dabei bezieht sich Lu Yang explizit auf die sechs Daseinsbereiche nach dem Mahayana Buddhismus, die die sechs Welten meinen, in die wir nach selbst erwirkten Karma wiedergeboren werden können: der Bereich der Menschen (Doku Human), wo wir zwar großem Leid unterworfen sind, durch Krankheit, Tod etc., aber das Potential besteht, die Lehren des Buddhas zu hören und danach zu leben; der Bereich der Götter (Doku Heaven), in dem die Götter leben aber noch keine Erlösung gefunden haben und in ihrem momentanen Glück und Stolz unempfänglich sind für die Lehre des Buddha; der Bereich der eifersüchtigen Götter (Doku Asura) die sich in einem Kampf mit den Göttern befinden und deren Platz eifersüchtig einnehmen wollen; der Bereich der hungrigen Geister (Hungry Ghost), wo sich all jene befinden, die in ihren Leben nie genug bekommen konnten und habgierig oder geizig agierten, der Bereich der Tiere (Doku Animal) wo die Tiere beseelt sind durch ihre Triebe und Instinkte aber allen anderen Wesen ausgeliefert sind: der Bereich der Hölle (Doku Hell), wobei es eine kalte und eine heiße Hölle gibt und der Hass die vorherrschende Emotion ist. So scheint Lu Yang in „Doku The Self“ eine virtuelle Reinkarnation in allen Bereichen zu vollziehen, um letztlich in der Auflösung aller Formen zumindest im virtuellen Raum den höchsten buddhistischen Erkenntniszustand des Nirvanas zu erreichen. Der Tanz erscheint dabei als das rituelle Werkzeug jener Reinkarnationen und zugleich als Ausdrucksmedium und narrative Ebene eines analogen Körpers, der sich als virtueller Körper in der VR wiederfindet, wie der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal in verschiedenen Schriften schrieb: „Traumbild eines unbekannten Tanzes als 'barbarisches' Ritual, in dem die als Kulturprodukt der Hemmung erfahrene Körperentfremdung aufgehoben“6 ist. Das Video, das in der Präsentation im esc medien kunst labor als loop in einer Black Box zu erfahren ist, generiert für Betrachter_innen ein immersives Erlebnis. Dabei bedient sich Lu Yang zuletzt auch über die spezifischen Tanzchoreographien der Avatare bestimmter „Körperbilder“, die als solche rezipierbar sind und auf ihre rituellen Vorformen des balinesischen Tanzes zurückverweisen.7
Die Ausschöpfung des digitalen Technikpotenzials ermöglicht es Lu Yang, „frei von den Beschränkungen der eigenen Physis gleichzeitig ich selbst und ein anderer oder eine andere zu sein“.8 Das Auflösen des binären Konzepts von einem Selbst ist nach Britta Färber ein Leitgedanke der buddhistischen Lehren. 9 Der zeitgenössische Philosoph Jean-Luc Nancy befasste sich in seinem bisher wohl wesentlichsten Werk „Being Singular Plural“ mit der Konstruktion von Gemeinschaft in Konvergenz (oder Divergenz) mit dem Selbst, wie die Stanford University Press zur Publikation veröffentlichte: „The fundamental argument of the book is that being is always “being with,” that “I” is not prior to “we,” that existence is essentially co-existence.“ 10 In Zusammenhang mit Lu Yang's „Doku The Self“ und der Kreation der sechs vorgestellten Avatare, erscheint die vom Kunst- und Kulturwissenschaftler Andreas Spiegl bereits einmal in Zusammenhang mit dem Künstler Jun Yang zitierte Textphrase von Nancy in einem anderen Licht: „The singular is a plural.“ 11, oder bei Lu Yang: „The singular is a (virtual) plural.“
[MA Elisabeth Passath (ehem. Saubach)]