Verlängert: Wüste der Wirklichkeiten
Laufzeit:
- Ausstellung
Der Titel Wüste der Wirklichkeiten zitiert eine Szene im ersten, 1999 erschienenen Teil der Matrix-Quadrologie der Wachowskis, worin zwei Realitäten konfrontiert werden.
Die eine gleicht der, die das Publikum als die ihre erkennt, mit der es sich mehr oder weniger arrangiert hat; diese stellt der Film als ein allumfassendes Simulacrum, als die Matrix vor. Die andere Realität wird als die Wüste der Wirklichkeit apostrophiert, diese ist im Unterschied zur allgemeinen Erfahrungswirklichkeit eine apokalyptische Ruinenlandschaft. Dabei verweist die Szene zugleich auf die Simulation (durch den aus ihr heraus sich auftuenden Blick wird der Unterschied evident) und eine Realität, die beansprucht, wirklicher zu sein, indem sie erschüttert durch die Vorstellung, diese Realität erleiden zu müssen.
Die Dualität Wirklichkeit/Fiktion bzw. Simulation hat besonders vor der Jahrtausendwende kulturtheoretische Aufmerksamkeit erhalten. Wir nehmen sie wieder in den Blick – heute mit Fokus auf die Realität der vormals oft nur spekulativ, theoretisch und extrapolierend, vielfach als Vorschein angesprochenen Verhältnisse und Dinge – etwa auf realisierte Systeme der Künstlichen Intelligenz und deren breite Anwendung sowie aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, die eine Wüstenbildung befeuern.
Digitale Infrastrukturen und vernetzte Technologien sind längst Alltag geworden, durchdringen nahezu sämtliche Lebensbereiche. Die Welt scheint berechenbar, unser Körper und unser Handeln codierbar.
Bereitwillig werden Verantwortung und Kompetenzen Maschinen (ausgestattet mit selbstlernenden Programmen) überantwortet, deren Funktionsweisen – quasi im Gegenzug – sukzessive in unserem Körper und in unserem Bewusstsein ebenso wie in unseren sozialen Beziehungen wirksam werden. Eine neue Dimension dieser Prozesse wurde erreicht, als wir begonnen haben, Algorithmen ethisch-moralische Entscheidungen zuzubilligen. Bedroh-liche Brisanz gewinnt diese Entwicklung vor allem angesichts autonomer Systeme (z.B. Drohnen), die über Freiheit und Repression und sogar über Leben und Tod entscheiden können.
Mit dem Programm Wüste der Wirklichkeiten soll zum Blick auf politische wie technische Formate der „Simulation“ im Licht der Gegenwart auch ein Blick auf Wirklichkeiten geworfen werden, wie sie in den Folgen des Klimawandels, der Zerstörung riesiger Landflächen bei der Gewinnung von Rohstoffen, der Verschmutzung der Meere und Seen, von Grundwasser und Quellen sichtbar werden. Ebenso wie in der Zerstörung der Natur hat das Ruinöse und Ruinierte seine Entsprechung in der Erosion sozialer und demokratiepolitischer Errungenschaften.
Aus dieser Perspektive stellt sich die Frage, ob ein Leben, wie es (in Europa) weitgehend als real erfahren und gelebt wird, nicht schon längst einer Art „Matrix“ geschuldet ist. Die Metaphorik der Wüste erlaubt gleichzeitig auch die Frage nach „Wasser“ und „Möglichkeiten der Bewässerung“. Denn – das besagen Erfahrung und das Prinzip Hoffnung – Wüsten können temporär und punktuell (wieder) zum Blühen gebracht werden.