Nicht nur gesellschaftliche Wirklichkeiten, sondern auch Technologien des online-Streamings und digitale Broadcasting-Formate im Internet verändern unseren Umgang mit dem Medium Radio. Radio ist nicht länger mit der Idee eines physischen Apparates verbunden, sondern – ähnlich wie andere Technologien – mobil, personalisiert und „wearable“ geworden, was sich nicht nur in der Vielzahl von Internetradiosendern und Podcast-Plattformen niederschlägt, sondern auch in der theoretischen Reflexion zur Radiokunst thematisiert wird. Radiokunst wird als hybrides Feld innerhalb der Medienkunst wahrgenommen, in welchem verschiedene Medien, Handlungsweisen, Ästhetiken und Wahrnehmungshaltungen konvergieren. Damit wird das Radio, ähnlich wie der heutige Mensch, zum „Cyborg“, einem Wesen, das heterogene Technologien und Realitäten in einem Körper vereint. Donna Haraway: „Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion.“
Der Radio Cyborg Transmitter RCT denkt solch ein hybrides Radio als Teil des öffentlichen (urbanen) Raumes weiter und erkundet Möglichkeiten, die sich konkret im Stadtraum Graz ergeben. Er beinhaltet zum einen den Bau und die Gestaltung einer eigenen Infrastruktur als Umsetzungs- und Möglichkeitsraum, in dem das Senden und Empfangen von Radio in und aus dem öffentlichen Raum drahtlos und mobil möglich gemacht wird – verbaut auf einem Lastenfahrrad als ein „Radiocycle“. Zum anderen erhalten Radio-KünstlerInnen und TheoretikerInnen Aufträge, um aus der jeweils konkreten Situation in Graz mithilfe dieser Infrastruktur neue Werke zu entwickeln: was bedeutet Radio heute für die Menschen, in einer Gesellschaft, die einerseits von immer stärkerer globaler Mobilität (für manche), und andererseits von wachsenden Medienmonopolen geprägt ist? Welche Rolle spielt die klangliche Umgebung für unser Selbstbild als Einzelwesen, als Gruppe, als Teil einer Stadt – und wo treffen, wie Peter Sloterdijk es bezeichnet hat, persönliche Klang-Blasen (Sonosphären) in unserer kollektiven Klangumgebung (Sonotop) aufeinander?
Radio ist in der heutigen Zeit nicht mehr nur als zentralisiertes akustisches (Propaganda-)„Ohr“gan zu verstehen, sondern als Raum für Austausch, ein Raum, der gerade durch seine Datenneutralität, Anonymität und durch den Akt des Zuhörens Möglichkeiten für neue Formen des Zusammenlebens eröffnet. Der spielerische Umgang mit Radio in der Radiokunst kann uns afür die Augen und Ohren öffnen. Der Radio Cyborg Transmitter RCT bringt das Radiohören und das Radiomachen in den Öffentlichen Raum zu den BewohnerInnen der Stadt. Der Radio Cyborg Transmitter RCT ist eine mobile Sende- und Empfangsstation in der Stadt, um das Alltagsgerät und Begleitmedium Radio und seine Möglichkeiten öffentlich zu nutzen. Der Radio Cyborg Transmitter RCT wird mit Photovoltaik- und Dynamo-Strom inkl. Integration diverser Sensoren und Smart-Anwendungen ausgestattet, um so energieeffizient wie möglich zu werden und gleichzeitig aktuelle Sensoren- daten in Echtzeit in Klang umwandeln. Teil des integrierten Vermittlungsprogrammes, zusätzlich zum Kunstprogramm, sind Einführungen in aktuelle Übertragungs- technologien, effiziente Energienutzung und umweltschonende Mobilität (Lastenrad). Am Cyborg Radiation Day – Art’s Birthday 2020 am 17. Jänner wird der Radio Cyborg Transmitter RCT erstmals in Betrieb genommen und dann 2020 immer wieder im Öffentlichen Raum der Stadt Graz als interventionistisches Modul mit jeweils neuem Programm in Erscheinung treten.
Anmerkungen zum Text: Bertolt Brecht, 1967, Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des
Rundfunks. Gesammelte Werke 18
Donna Haraway, Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980’s. In:
Socialist Review 80. 1985
Peter Sloterdijk, Medien-Zeit. Drei gegenwartsdiagnostische Versuche, cantz 1984
https://de.wikipedia.org/wiki/Wearable_Computing