Digitale, vernetzte Technologien gehören längst zu unserem täglichen Leben. Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben, Gentechnologie, Robotik und Prothetik sind nicht mehr Zukunftstechnologien, sondern reale Gegenwart und in dieser gerade dort am mächtigsten, wo sie sich unserer Wahrnehmung weitgehend entziehen.
Künstliche Intelligenz, als Sammelbegriff von Technologien wie Machine Learning, Deep Learning, Targeted Marketing, etc. ist keine virtuelle Realität, keine durch eine Matrix von Alltag und Kultur in irgendeiner Form abgetrennte Sphäre, sondern konstitutiver Akteur und integraler Bestandteil unseres täglichen Lebens. Die Digitalisierung von Kommunikations- und Kontrollsystemen ermöglicht eine gut getarnte Art der Einflussnahme, bei der die Nutzerinnen und Nutzer gemäß den Zielen und Interessen wirtschaftlicher und/oder politischer Verbände beeinflusst und/oder manipuliert werden. Kontrolle und Zensur werden durch eigenes Zutun in unsere Aktivitäten integriert, indem wir Hard- und Software größtenteils kritiklos nutzen.
Der Begriff Cyborg, die Kurzform von Cybernetic Organism, tauchte erstmals 1960 im Rahmen eines NASA-Projektes auf, das die „Eroberung“ des Weltalls zum Ziel hatte. 1985 griff Donna Haraway diese militaristische, techno-humanistische Figur auf, um ein sozialistisch-feministisches Manifest zu formulieren, in dem sie insbesondere die uneindeutige Natur der Cyborgs und eine notwendige Überwindung von Dualismen wie Mensch/Maschine, Natur/Technik, weiblich/männlich etc. betont, die ihres Erachtens das Fundament von Herrschaftsverhältnissen bilden.
Zum einen gibt es Technologien, die Cyborgs konstruieren, indem sie die Struktur des Körpers verändern, zum anderen sind es Technologien und Steuerungssysteme, die in unserer Umgebung eingesetzt werden, die unser Denken, Verhalten und Handeln wesentlich beeinflussen – uns zu Cyborgs machen.
Nach wie vor geht es dabei um jene drei C, die Donna Haraway bereits in ihrem „Manifesto for Cyborgs“ benannte: Command – Control – Communication, ins Werk gesetzt, implementiert und zugleich potenziert durch zwei weitere C: Code und Computation. Die Berechenbarkeit der Welt scheint allumfassend. Die Grundlage hierfür ist die Übersetzung und Erfassung von allem und allen in Form von Daten. Technologische Prozesse, Wissen, aber auch das Wesen des Menschen und andere Organismen werden in Informationseinheiten zergliedert, alles wird codierbar, alles wird berechenbar gemacht.
Wo bleibt, wie Frieder Nake formuliert, das Recht als Mensch unberechenbar zu sein?
Damit die Maschinen uns dienen, müssen wir sie bedienen. Bereitwillig haben wir die Steuerung an Systeme abgegeben, deren Einfluss sich damit tief in unsere Körper und in unser Bewusstsein, in unsere Vitalfunktionen ebenso wie in unsere sozialen Beziehungen hinein erstreckt.
CYBORG SUBJECTS fordert zur Auseinandersetzung mit diesen Systemen auf, um unsere Verantwortung als Cyborgs wahrzunehmen, den Entwicklungs- und Anwendungsstatus kontinuierlich zu überprüfen und zu hinterfragen sowie die Potenziale und die Gefahren zu reflektieren, um den Einsatz und den Umgang mit neuen Technologien mitbestimmen zu können.
Verwendete Literatur:
Isaac Asimov, The Naked Sun. Doubleday, 1975Barbara Becker, Cyborgs, Robots und Transhumanisten. Anmerkungen Über die Widerständigkeit eigener und fremder Materialität, 2000
Dagmar Fink, Wir Sind die Borg! Cyborgs queer gelesen, in: Luxemburg 3/2015
Chris Hables Gray, The Cyborg Handbook, 1995
Donna Haraway, A Cyborg Manifesto, 1984
Thomas Kaestle, »Schöner Leben als Cyborg? Über den technisch veränderten Menschen«, Veranstaltungsbericht zu Herrenhäuser Forum am 5. April 2017, veranstaltet von der Volkswagen Stiftung in Kooperation mit Spektrum der Wissenschaft
Sarah Kember, Cyberfeminism and Artificial Life, 2003
Rolf Kreibich/Fritz Lietsch (Hg.), Zukunft gewinnen! Die sanfte (R)evolution für das 21. Jahrhundert – inspiriert vom Visionär Robert Jungk, 2015
Susanne Lettow, Biokapitalismus und Inwertsetzung der Körper. Perspektiven der Kritik, in: PROKLA 178, 45. Jg., Nr. 1, 2015
Kevin Liggieri, Oliver Müller (Hrsg.), Mensch-Maschine-Interaktion. Handbuch zu Geschichte – Kultur – Ethik, 2019, pp. 250 f.
William J. Mitchell, Me++: The Cyborg Self and the Networked City, 2004
Ingeborg Reichle, Kunst im Zeitalter der Technowissenschaften, 1998
Yvonne Volkart Schmidt, Cyborg Bodies. Das Ende des fortschrittlichen Körpers, in: http://www.medienkunstnetz.de/themen/cyborg_bodies/editorial/
Helmut Wegener, Futurologie - der Kampf um die Zukunft, in: Sozialer Fortschritt, Vol. 23, No. 1 (Januar 1974), pp. 20-21
Reader zum Symposium The (After)life of the Cyborg: On the past, present, and future of human-machine interactions mit Cécile B. Evans, Francesca Ferrando und Lili Reynaud-Dewar, moderiert von Jennifer Parker-Starbuck am 23. Juni 2018 im Haus der Kunst, München
Feministische Studien, Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen und Geschlechterforschung, Heft Nr. 2/2019