Spule, gealtert

“We're talking about whole new forms of subjectivity here. We're talking seriously mutated worlds that never existed on this planet before. And it's not just ideas. It's new flesh.” Donna Haraway

Programm:
18.30 Uhr     Einlass
19.00 Uhr     Ilse Weber, esc medien kunst labor
19.05 Uhr     Lisa Rücker, Kulturstadträtin Stadt Graz
19.15 Uhr     Dr. Christian Buchmann, Kulturreferent Land Steiermark
19.25 Uhr     Reni Hofmüller, esc medien kunst labor
19.30 Uhr     Dr. Marina Grzinic, Künstlerin, Theoretikerin, Professorin an der Akademie der Bildenden Künste Wien

Eröffnungsrede: “A street talk: To act in support of those who struggle for a life with dignity requires bravery and responsibility”

20.30 Uhr
Performances
Elisabeth Schimana, Annette Giesriegl, Anna Kropfelder, Ivan Trenev, Martin Rumori, Gernot Tutner

Konzert
Just Friends and Lovers

DJ’s
Robert Lepenik, Marufura Fufunjiru

Interventionen
Ursula Kiesling und Maki Stolberg, “Festival of Bad Portraits”
Heike Kaltenbrunner, „Brot für einen Satz“/ „Brot gegen Sätze
Grit Ruhland, „Persecture #0: Raumuntersuchung – Landung esc”
Milla Millers, „Gekauft“
Doris Jauk-Hinz, „Trans-Lokation“

Installationen
Els van Riel IL A TOUT DIT
Pei-Wen Liu Inevitably, Here
Diane Ludin i-Biology revisited
Wernfried Lackner Army of Darkness
 

Ortswechsel

Nicht nur, aber vor allem, um in der Kunst zu erstaunlichen Ergebnissen zu gelangen, braucht es das nicht-zielorientierte Handeln. Wesentliches entsteht oft nebenbei, fernab vom Geplanten, Kalkulierten und Konzipierten. Es entwickelt sich im Gespräch, in der Diskussion, im Tun. Es kommt scheinbar aus dem Nichts, setzt sich unbemerkt fest, wächst im Verborgenen. Und plötzlich ist es da, unübersehbar, als wäre es immer schon vorhanden gewesen. Damit aber in dieser Weise Wesentliches passieren kann, braucht es einen Raum, der permanent für Kunst offen ist.

Wenn die esc als medien kunst labor nun einen neuen Ort besetzt, dann mit dem Ziel, wieder einen Raum zu schaffen, in dem Kunst im eigentlichen Sinn entstehen kann. Es wird ein Raum sein, der permanent da ist, der immer offen ist, selbst wenn in ihm dann manchmal scheinbar nichts passiert. Dies ist deshalb wichtig, damit die Zeit ihre Rolle spielen darf. Wenn die esc nun zum dritten Mal seit ihrer Gründung einen Ortswechsel durchführt, wird sie nach ihren Anfängen in der Plüddemanngasse in Waltendorf und ihrer zweiten Station in der Jakoministrasse nun mit dem neuen Standort im Palais Trauttmansdorff in der Bürgergasse mitten in der Stadt angekommen sein. Dies korrespondiert mit dem Selbstverständnis der zeitgenössischen (Medien-)Kunst, die sich nicht als Nische am Rande der Gesellschaft begreift, sondern im Gegenteil aktuelle Probleme und Entwicklungen reflektiert und behandelt, die den gesellschaftlichen Kern selbst betreffen – und somit uns alle, die wir Teil dessen sind. Wenn aber die Kunst sich als zentrales gesellschaftliches Phänomen begreift, müssen die Räume, in denen sie produziert und präsentiert wird, dem Rechnung tragen: sie dürfen nicht länger am Rande bleiben, sondern sind aufgefordert ins Zentrum rücken.

Auch die Form der klassischen Kunsträume wird untauglich. Weder der White Cube noch die Black Box – beides Beispiele sich selbst genügender Räume, von der Aussenwelt abgeschlossen und ohne Verbindung zu ihr – können Orte einer aktuellen Kunstproduktion sein, die sich mit allen Bereichen der Gesellschaft vernetzt und verbindet und mit ihnen kommuniziert. Der neue Ort der esc ist das Gegenteil dieser klassischen Räume: er ist transparent, öffnet sich nach aussen, wird Teil des öffentlichen Raums. Er richtet den Fokus auf die künstlerische Arbeit, die in ihm stattfindet. Er versteckt sie nicht hinter undurchdringlichen Wänden, sondern macht sie sicht-, hör- und greifbar – und dies in allen Phasen ihres Entstehens: nicht nur das fertige Produkt wird nach aussen präsentiert, sondern auch sein Entwurf, die Diskussionen, sein Aufbau, vielleicht sein Verfall oder Misslingen. Und das rund um die Uhr. Der Raum wird auch dann offen sein, wenn in ihm scheinbar nichts passiert. Die Kunst schläft nie.

Zentral ist, dass der Laborcharakter der esc aufrechterhalten wird. Die Lust am Experimentieren, an unkonventionellem Denken und Handeln wird weiterhin im Vordergrund stehen. Dies äussert sich bereits in der Konzeption des Ausstellungsprogramms, in der Technologie kritisch reflektiert wird. Kunst muss dafür sorgen, dass der Dialog zwischen den Menschen wieder aufgenommen wird, denn Technik degradiert den Dialog zu einem Klick. Wir haben den Dialog an die Maschinen abgegeben und selbst das Zuhören an ein Stück Software delegiert (Sherry Turkle). Menschen kommunizieren immer weniger face-to-face, sie editieren, löschen und laden Information – von ihren Computern, Ipads und Mobiltelefonen. Diese Geräte verändern nicht nur die Art, wie wir kommunizieren, sondern auch uns selbst. Es ist zu fragen, ob Technologie von Kunst hinreichend herausgefordert und hinterfragt wird, oder ob Kunst mittlerweile selbst zu etwas geworden ist, was sich vollends der technologischen Dynamik angepasst hat.

Eine der wesentlichen Leistungen zeitgenössischer Kunst ist es, dem Menschen wieder eine gestaltende und kommunikative Position zu ermöglichen, aus der ihn die Technologie gedrängt hat. Da der öffentliche Raum zunehmend kommerzialisiert wird, um Technologie restlos zu implementieren, werden Orte, die kritische Kunst ermöglichen, wahrscheinlich zu letzten Refugien echter Menschlichkeit.

esc medien kunst labor, August 2013